«An Weihnachten geben wir alles»
Warum singen wir an Weihnachten? Und woher kommen diese Lieder? Wir haben die beliebtesten Advents- und Weihnachtslieder im Kanton Luzern gesucht und sind ihrer Herkunft nachgegangen.
«Wir sagen euch an den lieben Advent» ist im Kanton Luzern eines der beliebtesten Adventslieder. Es ist eines der wenigen, deren Text von einer Frau stammt. Bild: Gregor Gander-Thür, aufsehen.ch
Jetzt klingen sie wieder in Strassen, Stuben und Supermärkten: Advents- und Weihnachtslieder. Dass Menschen das Fest der Geburt Christi besingen, habe mit der «Überfülle der Emotionen» zu tun, welche die Weihnachtsgeschichte prägen, sagt Martin Hobi, vormals Professor für Kirchenmusik an der Hochschule Luzern. «Urmenschliche Emotionen» wie Unterwegssein, Ankommen, Abgewiesen-Werden, Statusfragen usw. «Unsere Antworten und Hoffnungen spiegeln sich in den daraus entstandenen Bräuchen». Dazu gehört auch der ganzheitliche Ausdruck mit der Stimme. «Wir geben quasi alles, also singen wir auch», so Hobi.
Kinderlied auf Platz eins
Wir haben in den Luzerner Pastoralräumen nach den beliebtesten Advents- und Weihnachtsliedern gefragt und die Herkunft der jeweils ersten drei untersucht. «Wir sagen euch an den lieben Advent» ist demnach das beliebteste Adventslied. Der Text stammt als einer der wenigen von einer Frau: Maria Ferschl, eine österreichischen Lehrerin. Bereits im Erstdruck von 1954 wird es als «Ansinglied mit dem Adventskranz» bezeichnet, als Lied also, mit dem man das Anzünden der Kerzen «eröffnete».
Die Melodie (1954) stammt von Heinrich Rohr. Das Kinderlied richtet den Blick auf die Feier der Ankunft Jesu und die Vorbereitung darauf. Jede Strophe enthält eine Aufforderung zum Handeln, die sich auf biblische Texte bezieht.
«Weil Gott in tiefster Nacht erschienen» – die Lichtsymbolik durchzieht Weihnachtslieder und -bräuche. Bild: Eleni Kougionis, Verein Friedenslicht Schweiz
Ebenfalls sehr beliebt ist «Macht hoch die Tür». Der Text stammt aus der Feder des evangelischen Pfarrers Georg Weissel aus Königsberg (damals Ostpreussen, heute Kaliningrad, Russland). Erstmals gedruckt wurde es 1642 mit einer Melodie von Johann Stobäus. Die heute übliche Melodie fand sich zuerst 1704 in einem Gesangbuch, das von Johann Anastasius Freylinghausen herausgegeben wurde. Wer es komponiert hat, ist unbekannt. Der heutige Text entspricht fast unverändert dem Original. In der Singbewegung der 1920er-Jahre überschreitet das Lied die konfessionellen Grenzen und hält auch in katholische Liederbücher Eingang.
Kein Abdruck in der DDR
Zu den moderneren Liedern gehört «Weil Gott in tiefster Nacht erschienen». Der Stadtjugendpfarrer Dieter Trautwein schrieb Text und Melodie 1963 in Frankfurt für einen ökumenischen Weihnachtsgottesdienst. An diesem nahmen auch griechisch-orthodoxe Christ:innen, DDR-Flüchtlinge und Obdachlose teil. Trautwein ergänzte die 5. Strophe nachträglich angesichts von Schikanen, die er mit der Jungen Gemeinde in Ostberlin erlebt hatte. Als der Stadtjugendpfarrer von Dresden 1964 eine Abdruckerlaubnis beantragte, wurde sie ihm von den Behörden verweigert mit der Begründung, dass es in der DDR keine «tiefste Nacht» gebe. Dennoch verbreitete es sich rasch, in englischer Übersetzung und in der Ökumene.
Hobi erstaunt es nicht, dass die drei beliebtesten Adventslieder alle in Dur gehalten sind. «Heute möchte man bereits im Advent – früher eine Busszeit – gute Stimmung, Fröhlichkeit. Das ‹Noch-nicht›, das Zuwarten und Aushalten-Können, das sich in vielen Adventsliedern auch in den Moll-Tonarten zeigt, ist unsere Sache nicht.»
Emotionen verallgemeinern
Bei den Weihnachtsliedern überwiegen traditionelle Texte und Melodien. Viele stammen aus dem 19. Jahrhundert. Dies habe mit grossen Aufbrüchen wie etwa der Schulpädagogik, der beginnenden Industrialisierung, dem Tourismus und der neuen Freizeitkultur zu tun. Damit wurde «die rein kirchliche Bubble verlassen», erklärt Kirchenmusiker Martin Hobi, «die Weihnachtsemotionen wurden neu auch gesellschaftlich verallgemeinert und kultiviert».
Das bekannteste Weihnachtslied, «Stille Nacht», darf auch in Luzerner Weihnachtsgottesdiensten nicht fehlen. Um seine Entstehung ranken sich viele Legenden. Als gesichert gilt, dass es 1818 am Weihnachtsabend in der St.-Nikolaus-Kirche in Oberndorf bei Salzburg (A) durch den Organisten und Lehrer Franz Xaver Gruber und den Hilfspriester Joseph Mohr erstmals gesungen wurde. Mohr hatte den Text zwei Jahre zuvor geschrieben. Johann Hinrich Wichern, Leiter eines Knabenhauses, nahm das Lied 1844 in sein Liederbuch auf. Er veränderte den Text leicht und strich einige Strophen. So fand das österreichische Lied Eingang in das evangelische Liedgut. Heute ist es wohl das am meisten übersetzte und gesungene Weihnachtslied.
Liturgisch bemerkenswert
Martin Hobi erklärt den Erfolg des Liedes mit der einfachen, eingängigen Melodie und dem direkt zugänglichen Text. Auch dass in den damals noch auf Latein gehaltenen katholischen Gottesdiensten ein deutsches Kirchenlied gesungen wurde, hält Hobi aus liturgischer Sicht für bemerkenswert, «obwohl die eigentliche Uraufführung nicht im Gottesdienst selbst, sondern erst im nachfolgenden Gang zur Krippe erfolgt sein soll», fügt Hobi an.
An zweiter Stelle der Luzerner Weihnachtshits steht, wenig überraschend, «O du fröhliche». Die Melodie geht auf das sizilianische Seefahrerlied «O sanctissima» zurück. Darin bitten Seefahrer zur Gottesmutter Maria. Der Weimarer Dichter Johann Gottfried Herder hörte es in Sizilien und nahm es Anfang des 19. Jahrhunderts in eine Liedersammlung auf.
Der Text stammt von unterschiedlichen Autoren. Die erste Strophe geht auf den evangelischen Theologen Johannes Daniel Falk zurück, der ein Kinderheim führte. Er dichtete je eine Strophe für Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Als Entstehungsjahr wird 1816 angenommen. Später schrieb sein Mitarbeiter Heinrich Holzschuher die beiden anderen weihnächtlichen Strophen. In dieser Form wurde das Weihnachtslied populär.
Ausgangspunkt des Liedes «Herbei o ihr Gläubgen» bildet das einstrophige lateinische Lied «Adeste fideles». In der Folge entwickelten sich in England und Frankreich je eigene Textfassungen. Die englische geht auf den Lateinlehrer John Francis Wade zurück (um 1743). Diese fand Eingang in den evangelischen Raum und wurde von Friedrich Heinrich Ranke ins Deutsche übersetzt (1823). Im katholischen Schweizer Kirchengesangbuch befindet sich diese Version ebenfalls.
«Heile» Erinnerungen
Die französische Version (um 1790) von «Adeste fideles» geht auf Bischof Jean François Borderies zurück. In der deutschen Übersetzung von Joseph Moor (1873) trägt es den Titel «Nun freut euch, ihr Christen». Es findet sich in katholischen Gesangsbüchern Deutschlands und Österreichs.
Dass sich alte Weihnachtslieder so lange halten, erklärt Hobi damit, dass zur Weihnachtszeit Erinnerungen gehören, «die grundsätzlich als ‹gut› und ‹heil› emotionalisiert sind». Wenigstens an Heiligabend wolle man «keine Belehrung, nichts Neues müssen, sondern sich vorwiegend den Traditionen hingeben».