Aus der Ukraine in den Pflegeberuf
Zum Beispiel Svitlana Kucherenko und Yuliia Skrabina: Geflüchtete aus der Ukraine gelangen über Praktika in Luzerner Heimen in den Pflegeberuf. Caritas Luzern hat das Angebot aufgegleist, die Kirche unterstützt es.
Sie steigen in einen für sie neuen Beruf ein: Svitlana Kucherenko (links) und Yuliia Skrabina üben an einer Kollegin, wie eine pflegebedürftige Person in ihrem Bett leichter bewegt werden kann. Bild: Roberto Conciatori
Montag ist Schultag während des halbjährigen Praktikums. Im Heim Kirchfeld in Horw stehen neun Frauen um die beiden Übungsbetten. Die Pflegefachfrauen Lisa Rohrer und Trudy Bucher führen sie in die Kinästhetik ein. Das bedeutet: jemanden rückenschonend in den eigenen Bewegungen unterstützen. «Fasst dort an, wo ihr etwas spürt», sagt Bucher. «So kommt Bewegung in den Körper und es geht fast von alleine.»
«Kurs» in Schweizer Kultur
Einer betagten Person aus dem Bett helfen, ihr beim Waschen zur Hand gehen, sie zum Coiffeur begleiten: Das ist der Praktikumsalltag an den anderen Wochentagen. Svitlana Kucherenko (41) liebt ihn. Sie mag die alten Menschen, denen sie bei Viva Luzern im Wesemlin und Tribschen begegnet, sie mag ihre Geschichte und Geschichten, und sie freut sich, wenn sie selbst nach ihrer Familie gefragt wird. Zudem: Das Gespräch mit den Bewohnerinnen und Bewohnern helfe ihr, die Schweizer Kultur besser kennenzulernen.
Heisst es nun der, die oder das? Die Arbeit ist nicht so schwierig, die Grammatik ist es hingegen schon.
Yuliia Skrabina, Pflegepraktikantin
Deutsch spricht Kucherenko inzwischen gut. Vor anderthalb Jahren kam sie mit ihrer Tochter (15) und ihrem Sohn (12) aus Saporischschja in die Schweiz und strandete in Luzern. Ihr Mann Boris leistet in der Ukraine Militärdienst. Kucherenko hatte Sprachwissenschaften studiert und zuletzt als Direktionsassistentin gearbeitet. Ihre Kollegin Yuliia Skrabina (31) bringt ebenfalls viel Berufserfahrung mit. Sie studierte in der Ukraine Pharmazie und arbeitete bis zum Kriegsausbruch in einer Grossapotheke. Skrabina flüchtete mit ihrem Mann Denys und dem sechsjährigen Sohn vor knapp einem Jahr in die Schweiz. Die Familie, die nahe bei Saporischschja lebte, kann sich bereits selber durchbringen, da Denys Skrabina, ein Ingenieur, schnell eine Stelle in der Solarbranche fand.
Krankheiten, Medikamente, Hilfsmittel: Vieles davon sei ihr vertraut, sagt Skrabina. Die Arbeit im Heim Kirchfeld in Horw, ihrem Praktikumsplatz, sei «nicht so schwierig». Im Gegensatz zu den «neuen Wörtern», zur deutschen Grammatik. Skrabina lacht: «Heisst es nun der, die oder das?» Sie nehme oft das Handy zu Hilfe, wenn sie in einem Patientendossier etwas nachtragen müsse.
An den Händen zu fassen, hilft, den Körper zu drehen. Eine der Ukraine-Praktikantinnen übt das Umlagern. | Bild: Roberto Conciatori
Mitarbeitende gewinnen
Für Kirchfeld-Geschäftsführer Marco Müller bringen Pflegepraktika, wie sie Svitlana Kucherenko und Yuliia Skrabina über Caritas Luzern absolvieren (siehe Kasten), beide Seiten weiter. «Der Arbeitsmarkt in der Pflege ist ausgetrocknet», räumt er ein. Die Praktika vermittelten ein wirklichkeitsnahes Bild des Pflegeberufs. Die zwei Plätze im Kirchfeld sind für
Müller nicht nur «ein gesellschaftlicher Beitrag zur Integration von Menschen», sondern auch «eine Chance, mögliche künftige Mitarbeitende zu gewinnen». Selim Krasniqi, Leiter Betreuung und Pflege bei Viva Luzern für die Standorte Wesemlin und Tribschen, pflichtet Müller bei. Oft stiegen solche Praktikantinnen und Praktikanten später in eine Lehre ein.
Caritas vermittelt
Ob sie dies ebenfalls tun werden, wissen Kucherenko und Skrabina noch nicht. Sie können sich aber vorstel-
len, den Lehrgang Pflegehelfende des Roten Kreuzes zu absolvieren. Damit wären sie besser für einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle qualifiziert. Im Kirchfeld wie bei Viva Luzern ist ein solcher Lehrgang Voraussetzung für eine Anstellung.
In der Pflege bleiben möchten jedenfalls beide ukrainischen Frauen. Unterstützung auf diesem Weg bietet ihnen wiederum Caritas Luzern: «Wir kümmern uns um Anschlusslösungen», sagt Sibylle von Matt, Beraterin im Bereich berufliche Integration. Diese beiden Praktikantinnen hätten gute Chancen, dort eine Anstellung zu erhalten, wo sie aktuell tätig seien.
«Eine Bereicherung»
Sowohl für Caritas Luzern wie für die Heime sind die sechs Monate ein grosser Erfolg. «Uns fällt auf, wie sehr sich die Sprachkenntnisse der Teilnehmenden verbessert haben», sagt von Matt. Sie freut sich darüber, da die Sprache ja «ein ganz wesentlicher Teil der Integration» sei.
Selim Krasniqi nickt und weist darauf hin, wie gut die Praktikantinnen im Heimalltag aufgenommen würden: «Sie sind akzeptiert und eine Bereicherung für alle Beteiligten. Das erleben wir in den Teams wie bei den Bewohnenden.»
Kirche unterstützt «Starthilfe Arbeitsmarkt»
«Starthilfe Arbeitsmarkt» ist ein Projekt, das Caritas Luzern nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs lancierte. Darüber erhalten Geflüchtete Hilfe, im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Die katholische Kirchgemeinde Luzern unterstützte das Projekt mit 140 000 Franken; hinzu kamen ein Beitrag der Glückskette und private Spenden.
Praktika sind eines von mehreren Angeboten von «Starthilfe Arbeitsplatz»; jene in der Pflege bietet die Caritas selbst an. Sie begannen am 1. Mai und dauern sechs Monate. Neun Frauen und ein Mann machen mit; sie erhielten Plätze im Tertianum Sternmatt, Viva Dreilinden, Wesemlin und Tribschen in Luzern, im Sunneziel in Meggen und Vivale Sonnenplatz in Emmen. Die Praktika waren begehrt – auf Seiten der Heime, wie Caritas-Mediensprecher Reto Stalder sagt: «Wir hätten mehr Plätze haben können, als es geeignete Personen gab.»
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten einen üblichen Praktikumslohn. Weitere Caritas-Praktika gibt es nach Abschluss jener in der Pflege Ende Oktober nicht. Grund: Inzwischen haben die Kantone die Arbeitsintegration verbessert.