Das Café zwischen Leben und Tod

Hier ist der Tod nahe und spielt aber das Leben: Im «Café unter der Linde» auf dem Luzerner Friedhof Friedental reden Menschen über Gott, die Welt und das Dazwischen. Oder sitzen einfach still. Das findet Anklang.
 

Von Dominik Thali |  16.06.2023

«Es wäre schön, wenn man hier neume anehöckle und einen Kaffee trinken könnte»: Menschen im Gespräch im «Café unter der Linde» im Luzerner Friedhof Friedental. Bild: Dominik Thali

«Eine wunderbare Idee» sei dieses Café, findet Annina Meier. Die Seniorin aus Küssnacht sitzt an einem der Tische unter der grossen Linde, gegenüber ihr Schwager Markus Schönbucher aus Luzern, mit dem sie das Grab von dessen verstorbener Frau besucht. An einem anderen Tisch besprechen zwei junge Frauen eine Arbeit. Später stösst ein älterer Herr dazu. Er besucht jeden Tag das Grab seiner Frau und freut sich, dass er im «Friedental» jetzt auch Kaffee trinken kann. 

Die Menschen, die den Friedhof besuchten, seien oft einsam und kämen in Trauer, weiss Meier, schon viele Jahre verwitwet, aus eigener Erfahrung. Da sei ein solches Café «ein Begegnungsort, der einem guttun kann». Darum geht es auch den fünf Frauen, die das Friedhofscafé im Luzerner «Friedental» seit Ende April betreiben. Sie wollten «ein niederschwelliges Angebot» schaffen, «bei dem über Gott und die Welt, Leben und Sterben, Freude, Trauer und Abschied gesprochen werden kann», sagt Silvia Strahm Bernet.

«Anehöckle»

Die Theologin ist mit Carmen Jud, Heidi Müller, Li Hangartner und Beata Pedrazzini schon Jahrzehnte im «Arbeitskreis feministische Theologie Luzern» unterwegs. Vor fünf Jahren entstand in dieser Gruppe die Idee Friedhofscafé. Strahm Bernet hatte ein solches in Berlin kennengelernt und war begeistert, Jud wohnt im Quartier, spaziert oft durchs «Friedental» und fand schon lange, «es wäre schön, wenn man hier neume anehöckle und einen Kaffee trinken könnte». Beata Pedrazzini schliesslich, die in ihrem Berufsleben Religionspädagogin und Pfarreiseelsorgerin war, hörte von diesem Wunsch in vielen Trauergesprächen.

Das «Café unter der Linde» ist ein Platz mit Aussicht. Drei Tische, eine Theke – das genügt. | Bild: Dominik Thali

Die fünf Frauen gelangten deshalb an die Stadt – und stiessen dort auf offene Ohren. Für Pascal Vincent, Leiter Friedhöfe, ist das «Café unter der Linde» ein Versuch, den Friedhof «noch stärker zu einem Ort der Begegnung zu machen». Das «Friedental» sei «ein multifunktionaler Raum», in dem ein solches Angebot gut Platz habe, solange es angemessen Zeit und Raum einnehme. Für Vincent ist klar: Ein Container dürfte nicht aufgestellt und das Café nicht täglich betrieben werden, denn auch die Stille sei «eine Qualität, die diesen Ort auszeichnet».

Die Stadt bewilligte der «IG Friedhofs­café», als welche die Initiantinnen auftreten, vorerst 24 Nachmittage für einen Versuchsbetrieb. Mehr könnte die IG auch gar nicht stemmen. Den Betrieb mit 30 bis 40 Freiwilligen zu koordinieren, ist aufwendig genug.

Positive Reaktionen

Das Café besteht aus einem mobilen Wagen mit einer kleinen Küche: Kaffeemaschine, Kühlschrank, Geschirr aus dem Brocki. Viele haben beim Bauen geholfen, ein Fonds, eine Stiftung und die grossen Kirchen der Stadt haben Geld gesprochen. Der Wagen steht unter der grossen Linde in der Nähe des Gemeinschaftsgrabes. Bei schönem Wetter werden dort von Donnerstag- bis Samstagnachmittag ein paar Tische aufgestellt – drei nur, damit die Besucher:innen sich zueinander setzen und miteinander ins Gespräch kommen. Schon an den ersten Nachmittagen hatte das Team mit jeweils 
30 bis 40 Gästen alle Hände voll zu tun.

«Zwischen Leben und Tod»

Die Reaktionen auf die Eröffnung seien «durchwegs positiv» gewesen, sagt Strahm Bernet. Es habe wenige Leute gegeben, die fanden, ein Café auf einem Friedhof gehöre sich nicht. Die IG verweist sie auf die Gastfreundschaft, die Jesus mit Menschen jedwelcher Herkunft gepflegt habe, und Strahm Bernet erinnert an jesuanische Reich-Gottes-Erzählungen, bei denen Festessen und Gastmähler gängige Bilder seien. Ein Café auf einem Friedhof, «an dieser Schnittstelle zwischen Leben und Tod», passe da doch gut. Und: «Es ist schön, wenn Menschen, die darüber miteinander reden möchten, jetzt eine Gelegenheit haben.» 

Als Pilotprojekt besteht das «Café unter der Linde» bis Mitte Juli. Danach wertet die IG den Versuch aus. Ziel ist, dass es nächstes Jahr weitergeht. Wie, ist offen, der Entscheid fällt gemeinsam mit der Stadt.

 

Der Friedhof als «Schnittstelle zwischen Leben und Tod»: Silvia Strahm Bernet (roter Mantel) und Beata Pedrazzini im Gespräch mit Pascal Vincent, Leiter Friedhöfe der Stadt Luzern, hinten Mitinitantin Carmen Jud. | Bild: Hansruedi Buob

In der Trauer nicht allein gelassen sein

Angebote für Menschen in Trauer gibt es viele in den Luzerner Pastoralräumen und Pfarreien. Einige Beispiele:

  • In Malters-Schwarzenberg startete vor einem Jahr ein Trauercafé, das «sehr gut angelaufen» sei, wie Pastoralraumleiter Othmar Odermatt sagt.
  • Im Pastoralraum Hürntal gab es Anfang November im Rahmen des «anderen Sonntags» den Anlass «Friedhoffnungsort – eine lichtvolle Abendstunde auf dem Friedhof». Er kam gut an und wird deshalb am 19. November wiederholt.
  • In Sursee besteht das «Trauertreffen», ein offenes Angebot immer am ersten Dienstag im Monat im Pfarrhaus.
  • Im Pastoralraum Pfaffnerntal-Rottal-Wiggertal werden nahe Angehörige etwa einen Monat nach einem Trauerfall nochmals kontaktiert. «Oft bleibt es beim Telefon, ab und zu wird aber auch ein weiteres Gespräch oder eine Begleitung gewünscht», sagt Pastoralraumleiterin Edith Pfister. 
  • In Eich stellt Pfarreileiter Franz Zemp fest, dass auch verwitwete Frauen und Männer nach einem Friedhofsbesuch das Angebot des offenen Pfarrhausgartens nutzen, das es dort seit 2022 im Mai und Juni gibt. Es hätten sich «sehr intensive und wohltuende Gespräche» ergeben. 
  • In Beromünster besucht der Frauenbund im Advent alle Witwen und Witwer. Zum Gespräch gibt’s ein Geschenk und eine Karte; dies auch im Namen der Pfarrei.