Die Lehre, die gleich in die Praxis führt

In die Pfarreiseelsorge führen viele Wege – aber alle über die Berufseinführung. Judith Grüter-Bachmann, Valentin Beck und Dominik Arnold erzählen nach den zwei Jahren von ihren Erfahrungen.

Von Dominik Thali |  28.06.2024

Nach dem Theologiestudium und zwei Jahren Berufseinführung sind sie jetzt Pfarreiseelsorgerin und -seelsorger (von links): Valentin Beck, Dominik Arnold und Judith Grüter-Bachmann vor der Hofkirche in Luzern. Bild: Roberto Conciatori

Ihre Berufseinführung ist abgeschlossen. Fühlen Sie sich auch eingeführt?
Judith Grüter:
Ich habe nun ein gutes Fundament für meine Arbeit als Seelsorgerin. Aber ich bin und bleibe auf dem Weg.
Valentin Beck: Man wird nicht etwa an der Hand genommen und sacht eingeführt. Eher macht man Dinge einfach das erste Mal, lernt dazu, macht Erfahrungen. Der Austausch unter uns und die Supervision haben dabei sehr geholfen.
Dominik Arnold: Mir auch. Man wird wirklich zunächst ziemlich ins kalte Wasser geworfen.

Was ist anders als vor zwei Jahren?
Arnold:
Nach zwei Kirchenjahren habe ich inzwischen einige Routine.

Auch bei Beerdigungen?
Arnold:
Damit habe ich erst relativ spät begonnen. Nach einem halben Jahr hörte ich erst einmal an einem Trauergespräch dem Pfarreileiter zu. Dann schrieb ich für eine Abschiedsfeier die Fürbitten. Bei meiner ersten eigenständigenBeerdigung sass der Pfarreileiter in den Bänken und gab mir anschliessend eine Rückmeldung. Ich war vorbereitet, es war aber auch herausfordernd. Ich habe immer noch Respekt davor, allenfalls etwas Falsches zu sagen, finde diese Aufgabe aber sehr erfüllend.
Beck: Es ist gut, wenn ein gewisses Mass an Unsicherheit bleibt. Mit der Zeit merkt man allerdings, dass das Gegenüber in einer herausfordernden Situation, etwa bei einem Todesfall, ja ebenfalls unsicher ist, und ich einfach durch das Gespräch führen muss. Das gibt zugleich Sicherheit.
Grüter: Während des Studiums war’s entweder Praxis oder Theorie. In der Berufseinführung vernetzten wir uns dann und reflektierten gemeinsam unsere Praxiserfahrung. Das brachte alle weiter. 
Beck: Praxis und Üben fehlen aber schon. Im Theologiestudium fast vollständig. In der Berufseinführung haben wir einmal ein Traugespräch geübt, das Thema Abschiedsfeier wurde gerade mal an einem Nachmittag im zweiten Jahr behandelt. Wenn ich mit einem Medientraining vergleiche – da steht man doch x mal vor der Kamera, bevor es ernst gilt. Die Berufseinführung müsste die Praxis viel stärker gewichten.

An meinen bisherigen Stellen wurde es mir mit der Zeit immer ein wenig langweilig, weil sich die Themen und Abläufe wiederholten. Das ist nun überhaupt nicht mehr der Fall.
Judith Grüter-Bachmann

Fühlen Sie sich ihrer Aufgabe in der Seelsorge gewachsen?
Arnold:
Ich fühle mich nicht überfordert, aber es kommt schon vor, dass jemand in einem Gespräch ein Thema, ein Problem vorbringt und ich weiss kaum, was ich sagen soll. Seelsorge heisst aber auch, Stille und Leere auszuhalten mal, keine Worte zu haben. Damit habe ich mitunter Mühe.

Seelsorger, Seelsorgerin – Ihr Traumberuf?
Arnold:
Das ist zu hoch gegriffen. Aber ich fühle mich wohl und mache diese Arbeit wirklich gerne.
Grüter: Für mich ist es durchaus mein Traumberuf. An meinen bisherigen Stellen wurde es mir mit der Zeit immer ein wenig langweilig, weil sich die Themen und Abläufe wiederholten. Das ist nun überhaupt nicht mehr der Fall.
Beck: Ich bin angekommen. Die Vielfalt schätze ich ebenfalls sehr. Vom Altersheim bis auf die Gasse, das Hin und Her, das Handfeste, in der Stadt unterwegs sein, unterschiedliche Orte und Kontexte. Das sind viele Sinneserfahrungen. Und ich erhalte unmittelbare Rückmeldungen.

«ch bin da für die Menschen und lasse mich dabei nicht von kirchenpolitischen Diskussionen aufhalten»: Dominik Arnold., Judith Grüter-Bachmann und Valentin Beck (von links). | © Conciatori

Können Sie kreativ sein?
Grüter:
Sehr. Zum Beispiel in der katechetischen Arbeit mit Kindern, Familien und Erwachsenen. Ich erlebe auch eine grosse Offenheit bei den Pfarreiangehörigen. 
Arnold: Lediglich im sakramentalen Bereich gibt es kirchenrechtliche Einschränkungen. Aber bei einem Wortgottesdienst etwa habe ich sehr grosse Gestaltungsmöglichkeiten. Diesbezüglich fühle ich mich als Pfarreiseelsorger freier, als wenn ich Priester wäre.
Beck: Die Kreativität ist nicht das, was durch das Kirchenrecht eingeschränkt wird. Denn was nicht definiert ist, ist auch nicht verboten. Viel eher ist es so, dass das Kirchenrecht manchmal eine Hürde darstellt, die Menschen daran hindert, an kreativen Prozessen überhaupt teilzunehmen, weil sie sich ausgeschlossen fühlen.

Ihre Wege in die Seelsorge waren unterschiedlich lang.
Arnold:
Meiner war recht direkt und kurz. Die Theologie mit ihrer Breite von Themen – Geschichte, Philosophie, Sprachwissenschaft, Pädagogik – begann mich gegen Ende der Kantonsschule zu interessieren. Das müsse ein cooles Studium sein, dachte ich. Beheimatet in der Kirche war ich aber schon lange, als Ministrant, Oberministrant, Kommunionspender und Lektor fühlte mich da immer sehr daheim.
Grüter: Mein Weg war länger. Ich lasse mich gerne führen, die Dinge auf mich zukommen. An vorherigen Stellen war ich wie gesagt gelegentlich unzufrieden. Das ergab sich dann einfach. Ich ging zurück in die Pflege, aber mir fehlte dort die Freiheit, die Beziehung zu den Menschen, das Kreativ-sein. Zurück im Religionsunterricht, war ich dann umso glücklicher. Danach, auf der Fachstellen fehlte mir wiederum der direkte Kontakt zu den Menschen. Dann fand ich heraus, dass ich auch ohne Matura mit dem bischöflichen Programm Theologie studieren kann.
Beck: Ich brauchte wirklich Bedenkzeit. Während des Studiums in Freiburg wohnte ich im Salesianum, da wurde es mir mitunter zu eng, ich haderte mit der Kirche. Gleichwohl setzte sich der Gedanke fest, Seelsorge könnte etwas für mich sein. Ich wurde dann erst Bundespräses der Jubla, später, 2020, Gassenseelsorger. Der Bischof gewährte mir dafür eine Ausnahmebewilligung, weil ich ja die Berufseinführung noch nicht hatte.

Beschäftigen Sie sich mit Kirchenpolitik?
Grüter:
Sehr. Wer in der Kirche arbeitet, kann sich ihr nicht entziehen. Das war für mich am Anfang mit vielen Emotionen verbunden. Bis ich nach manchen Enttäuschungen merkte, dass ich mich abgrenzen muss. Heute sage ich: Ich lasse mir meine Kirche nicht nehmen. Als Seelsorgerin will ich jemanden vertreten, dessen Botschaft, die Liebe, echt ist. Das kann ich durch meine Beziehungsarbeit tun. Die kirchenpolitischen Dauerbrenner beschäftigen mich immer noch, aber ich lasse die Auseinandersetzung nicht so nahe an mich herankommen.

Wir dürfen uns die Kraft des geteilten Glaubens nicht nehmen lassen. Die Kirche hat so viel Potenzial.
Valentin Beck

Arnold: Das sehe ich ähnlich. Ich bin da für die Menschen und lasse mich dabei nicht von kirchenpolitischen Diskussionen aufhalten. Und gerade im Bistum Basel haben wir sehr viele Freiheiten in der Gestaltung der Seelsorge.
Beck: Kirchenpolitik ist ein Grundthema von mir, deshalb engagiere ich mich in der «Allianz Gleichwürdig Katholisch». Die ewig gleichen Diskussionen langweilen mich aber auch mal, zumal sie oft in eine Sackgasse führen. Was Judith sagt, ist auch mir wichtig: Wir dürfen uns die Kraft des geteilten Glaubens nicht nehmen lassen. Die Kirche hat so viel Potenzial. Es macht mich hässig, wenn Diskriminierungen an der Oberfläche die gemeinsame Tiefe überdecken..
Arnold: Interessant ist, dass ich mit jüngeren Menschen eher selten kirchenpolitische Diskussionen führe. Diese wissen vielfach gar nicht mehr Bescheid. Auseinandersetzungen gibt tendenziell eher mit Älteren, für die beispielsweise noch die Synode 72 ein Begriff ist.
Grüter: Das erlebe ich anders. Unsere zwei Töchter können nicht verstehen, dass ich noch dabei bin.

Bischof Felix Gmür hat in seinem Hirtenbrief vom Januar geschrieben, es brauche einen Wandel. Welchen?
Grüter:
Der lässt sich gar nicht aufhalten und kommt von der Basis, nicht der Kirchenleitung. Wenn ich unsere schlecht besuchten Gottesdienste anschaue und anderseits sehe, wie gut etwa unsere «Kirche kunterbunt» ankommen, glaube ich: Die Kirche wird sich ins Kleine und Lebendige verändern.
Arnold: Mir ist noch die Predigt des Bischofs im Rahmen der Chrisammesse präsent, als er die Frage stellte, ob wir einen Kultur- und/oder einen Strukturwandel benötigen. Letztlich hört man von allen Seiten, so könne esnicht weitergehen. Nur, was das konkret heisst, da scheiden sich die Geister.
Beck: Wandel ist ein schwammiger Begriff. Strukturen, Kultur – es braucht beides. Der Druck ist massiv, je länger es geht, desto peinlicher wird es. Ich erinnere an die Einführung des Frauenstimmrechts. Dahinter will doch niemand mehr zurück!
Grüter: Ich bin jedenfalls gespannt. Und neugierig darauf, wie sich die Kirche entwickelt.
Beck: Schwarz malen würde ich nicht. Die Kirche hat ihre Rolle in der Gesellschaft, sie gibt den Menschen etwas und kann Veränderung bewirken. Das motiviert mich.

---

  • Dominik Arnold, 27, aus Hochdorf, Master-Abschluss Theologiestudium 2022, Berufseinführung in der Pfarrei Root
  • Valentin Beck, 40, aus Ruswil, Master-Abschluss Theologiestudium 2011, Master in Religionslehre, Assistent Kirchengeschichte Uni Luzern, Bundespräses Jubla, Gassenseelsorger seit 2020, Berufseinführung dort und in St. Paul Luzern
  • Judith Grüter-Bachmann, 52, aus Urswil, Pflegefachfrau HF, drei erwachsene Kinder, Katechetin ForModula, Fachstellentätigkeit, Erwachsenenbildung, Abschluss Theologiestudium im bischöflichen Studienprogramm 2022, Berufseinführung in St. Anton/St. Michael Luzern

Zwei Jahre Aufbaustudium

Die Berufseinführung ist die Voraussetzung für den hauptamtlichen seelsorgerlichen Dienst im Bistum Basel und richtet sich an Personen mit einem abgeschlossenen Theologiestudium. Zehn Frauen und Männer haben Ende Juni diesen Lehrgang abgeschlossen. Aus dem Kanton Luzern:

  • Dominik Arnold (Pfarrei Root)
  • Valentin Beck (St. Paul Luzern, Gassenarbeit Luzern)
  • Judith Grüter-Bachmann (St. Anton und St. Michael Luzern)
  • Pascal Mettler OFM Cap (Pfarreien Schüpfheim/Flühli)
  • Simone Parise (St. Maria Luzern)

Valentin Beck, Judith Grüter-Bachmann und Simone Parise haben zudem am 1. Juni die Institutio erhalten. Sie wurden damit in den ständigen Dienst im Bistum Basel aufgenommen.