Die schwesterliche Wohngemeinschaft

Im Zentrum der St. Anna-Schwestern in Luzern bündeln sieben Gemeinschaften ihre Kräfte, weil sie allein kaum mehr bestehen könnten. Im Miteinander blüht ihr Ordensleben neu auf.

Von Dominik Thali |  14.11.2024

Die schwesterliche Wohngemeinschaft (von links): Sr. Samuelle Käppeli, Sr. Charlotte Schenker, Sr. Klara Maria Kocher, Sr. Walburga Fäh, Sr. Sabine Lustenberger, Sr. Heidi Kälin und Sr. Angelika Scheiber. |Bild: Stefano Schröter

«Etwas Besseres hätte mir nicht geschenkt werden können. Allein mit meinen zwei betagten Mitschwestern, das hätte ich nicht mehr lange geschafft», sagt Sr. Angelika Scheiber. Die 70-jährige Frau Mutter der Kapuzinerinnen vom Kloster Maria Hilf in Altstätten lebt seit August im St. Anna, Sr. Bernadette (85) und Sr. Johanna (85) zogen schon vor einem Jahr nach Luzern. Sr. Angelika blieb in der Ostschweiz, um den Klosterbetrieb zurückzufahren. Und weil sie sich lange nicht zu einem Ortswechsel durchringen konnte, brauchte sie noch etwas Zeit. Heute sagt Sr. M. Angelika: «Ich bin ja ein Heimweh-Kind. Aber ich vermisse Maria Hilf überhaupt nicht.»
 

Sr. Heidi Kälin (links) und Sr. Samuelle Käppeli. | Bilder: Stefano Schröter

Eine «Not der Zeit»

Die Schwestern aus Altstätten sind drei von fast 70, die im Zentrum St. Anna leben. 48 sind St. Anna-Schwestern, seit 2009 zogen nach und nach neue Gemeinschaften ein. Drei Jahre zuvor hatten die Schwestern beschlossen, ihr Haus zu öffnen, um einer «Not der Zeit» zu begegnen, wie die damalige Generaloberin Sr. Heidi Kälin (70) sagt. Will heissen: Überall werden Ordensgemeinschaften kleiner, sie überaltern, die Kräfte schwinden. Das «Wie weiter?» macht Sorgen. «Wir aber im ‹St. Anna› wohnen an einem schönen Ort, haben genug Platz und eine Stiftung, die für uns schaut. Also teilen wir unseren Lebensraum», sagt die heutige Generaloberin Sr. Samuelle Käppeli.

Die Dorothea-Schwestern, die Jahrzehnte in Flüeli-Ranft eine Mädchenschule geführt und im späteren Friedensdorf und im Verein «Via Cordis» mitgearbeitet hatten, stiessen 2009 als Erste zu den St. Anna-Schwestern. «Wir wollten handeln, solange wir das noch selber konnten», sagt Sr. Charlotte Schenker (79). 2012 kamen drei Schwestern von der ehemaligen Schule «Rhätia» in Luzern hinzu, heute leben fünf Dorothea-Schwestern im St. Anna.

Sr. Sabine Lustenberger (links) und Sr. Charlotte Schenker. | Bilder: Stefano Schröter

Neuer Freiraum

«Jetzt muss etwas gehen», hatte sich vor fünf Jahren auch Sr. Sabine Lustenberger von den Stanser Kapuzinerinnen gesagt. Am Ende eines langen Prozesses rief sie eines Tages Sr. Samuelle an. Sie habe gezweifelt, ob die Stanser Schwestern denn gleich zu sechst kommen könnten, sagt Sr. Sabine. «Aber das sah Sr. Samuelle ganz anders.» Die beiden schauen sich an und schmunzeln. Vor einem Jahr dann zogen die Kapuzinerinnen aus Nidwalden nach Luzern. Sr. Sabine ist auch hier ihre Frau Mutter – und mit 52 die jüngste der Gemeinschaft überhaupt. Der Altersunterschied sei für sie nicht neu, diesen kenne sie von ihrer Klosterzeit her. In Luzern geniesst Sr. Sabine ihren neuen Freiraum – etwa, um als Geistliche Begleiterin tätig zu sein. Sie kümmert sich aber zusammen mit einer Stiftung auch um die künftige Nutzung des alten Klosters in Stans.
 

Sr. Angelika Scheiber, | Bild: Stefano Schröter

«Tolle Nachbarschaft»

Eine Bereicherung sei diese Vielfalt, sagt Sr. Heidi. Miteinander am Tisch sitzen, ins Gespräch kommen, gemeinsam feiern: «Das hatte ich nicht so erwartet.» Für Sr. Walburga Fäh (69) von der Gemeinschaft der Helferinnen ist das «eine tolle Nachbarschaft». Die Helferinnen führten unter anderem das Haus Bruchmatt in Luzern. Sr. Walburga und eine weitere Helferin leben in kleinen Wohnungen im «St. Anna». 

Generaloberin Sr. Samuelle hebt die unterschiedlichen Wohnmöglichkeiten im Haus hervor: selbständig, begleitet oder in der Pflege. «Und doch leben wir alle unter einem Dach, teilen unsere Freuden und Sorgen.» Sr. Charlotte spricht von «gemeinschaftsnahem Wohnen» – und freut sich, dass auf ihrem Stock eine Kapuzinerin und die St. Anna-Schwestern wohnen – ohne abgrenzende Tür im Gang. Das Zentrum St. Anna ist eben kein Kloster. Das Haus habe, wenn schon, «eine durchgehende Klausur», sagt Sr. Heidi. Sr. Angelika von den Altstätter Kapuzinerinnen lacht und meint, ihre Mitschwestern hätten, seit sie im «St. Anna» lebten, noch nie die hier fehlende Klausur erwähnt. Ihr Eindruck sei vielmehr, sie könnten hier «besser atmen» und fühlten sich freier. «Manches, was einem früher vorgeschrieben wurde, ist im Nachhinein nicht mehr so wichtig», sagt Sr. Angelika.
 

Wichtig ist den Schwestern schlicht, im Alltag das Miteinander zu leben und gleichwohl ihre eigene Spiritualität zu pflegen – am Tisch, zu den Gebetszeiten, an Festen. «Sich einbringen in die grosse Gemeinschaft ist etwas vom Schönsten hier», sagt die Kapuzinerin Sr. Sabine. Sie gestaltet zum Beispiel gelegentlich Laudes und Vesper der St. Anna-Schwestern mit, diese wiederum lernen die franziskanische Kultur kennen. «Eine Bereicherung», heisst es dazu auch von Sr. Samuelle. 
Sr. Heidi vergleicht die St. Anna-Gemeinschaft mit einer Jahreszeit. «Im Herbst erblüht das Leben noch einmal, vollendet sich aber auch.» Im St. Anna seien die Schwestern «von vielen Sorgen befreit» und dürften «einfach leben». 

Erfüllte Wünsche

Sr. Klara Maria Kocher nickt. Sie gehört mit 93 Jahren zu den Ältesten im Haus; ihre vier Mitschwestern, mit denen sie 2009 einzog, sind alle schon verstorben. Die St. Agnes-Dominikanerinnen hatten in Luzern ebenfalls eine Mädchenschule geführt. Sr. Klara Maria lebt inzwischen im Pflegeheim, nimmt aber noch an den Gebetszeiten teil oder schmückt an Festen die Tische mit Blumen. Zufrieden blickt sie zurück: «Der Herrgott hat mir meine Wünsche erfüllt.»
 

Sr. Walburga Fäh und Sr. Klara Maria Kocher. | Bilder: Stefano Schröter

Sieben Gemeinschaften

1998 übergaben die St. Anna-Schwestern in Luzern ihre sozialen Werke der St. Anna-Stiftung, die sich auch um ihre weltlichen Bedürfnisse kümmert. Sie schafften damit die Grundlage für eine neue Aufgabe, die das Generalkapitel 2006 beschloss und seit 2009 umgesetzt wird: Wohnraum und Leben mit anderen Gemeinschaften teilen. 

Heute leben im Zentrum St. Anna 66 Schwestern aus sechs Gemeinschaften: 48 St. Anna-Schwestern, 5 Dorothea-Schwestern, 6 Kapuzinerinnen von St. Klara (Stans) und 3 von Maria Hilf (Altstätten), 2 Schwestern der Helferinnen (Bruchmatt), eine Clarissin von Nizza und eine Dominikanerin vom ehemaligen St. Agnes in Luzern und eine Frau der Schönstattbewegung. Die älteste Schwester zählt 99 Jahre, die jüngste 52.