Ein ökumenischer Heiliger

Am 15. Mai 1947 wurde Niklaus von Flüe heiliggesprochen. Was bedeutete das für die Reformierten, bei denen er ebenfalls in hohem Ansehen stand? Ein Gespräch mit dem reformierten Pfarrer und Bruder Klaus-Kenner Fritz Gloor. 

 

Von Sylvia Stam |  13.05.2022

Für die Reformierten war Niklaus von Flüe eher eine politische als eine spirituelle Figur. Bild: Bruno Fäh/Bruder Klaus Sachseln

«Das war ein Schock für die Reformierten», sagte der emeritierte Literaturprofessor Peter von Matt 2017 in einem Interview mit kath.ch. Gemeint ist die Heiligsprechung Niklaus von Flües am 15. Mai 1947. Dadurch hätten die Reformierten das Gefühl gehabt, jetzt gehöre er den Katholiken.

«Das trifft bis zu einem gewissen Gradzu», sagt Fritz Gloor. «Befürchtet wurde, dass die Katholikinnen und Katholiken dadurch die alleinige Deutungshoheit über ihn haben würden.» In seiner Schrift «Bruder Klaus und die Reformierten» (2017) weist Gloor nach, dass der Heiligsprechung ein «kleiner Kulturkampf» vorangegangen sei: In den 1920er Jahren hatte Papst Pius XI. die «Katholische Aktion» lanciert, einen weltweiten Aufruf mit dem Ziel, «die Welt wieder katholischer zu machen», so Gloor. Vereine wie der Katholische Turnverein oder die Katholische Arbeiterbewegung erhielten neuen Auftrieb, und der 1927 gegründete «Bruder-Klausen-Bund» hatte gar die «Wiedervereinigung des Schweizervolks im Glauben» zum Ziel.

«Zivilreligiöse Bedeutung»

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass ein Sturm der Entrüstung durch die reformierte Schweiz ging, als der katholische Bundesrat Philipp Etter 1942 in einer Rede die Schweiz «unter den Schutz des Allmächtigen und unseres Landesvaters Bruder Klaus» stellte.

Nationales Symbol

«Für die Reformierten war Niklaus von Flüe in erster Linie ein nationales Symbol», sagt Fritz Gloor, also eher eine politische als eine spirituelle Figur. «Er hatte die Eidgenossenschaft durch seine Intervention beim Stanser Verkommnis gerettet, er galt als Einheits- und Friedensstifter.» Entsprechend spricht Gloor von einer «zivilreligiösen Bedeutung».

Die katholischen Motive für seine Verehrung – sein Eremitentum oder sein Wunderfasten – standen für die Reformierten nicht im Vordergrund, hält Gloor fest. «Man betonte vielmehr, dass es ihm eben nicht um das eigene Seelenheil, sondern um das Gemeinwohl gegangen sei.»

Evangelische Gestalt

Gerade darin hätten die Reformatoren Huldrych Zwingli und Heinrich Bullinger seine geistlich-theologische Bedeutung gesehen und Niklaus von Flüe daher als eine wahrhaft evangelische Gestalt gewürdigt. «Zwingli argumentierte, Bruder Klaus habe das Söldnerwesen aus dem Zentrum seines Glaubens heraus abgelehnt.»

Die damalige Befürchtung der Reformierten, Bruder Klaus würde ihnen durch die Heiligsprechung entfremdet, habe sich allerdings nicht bewahrheitet, zumal die Heiligsprechung keine konfessionspolitischen Konsequenzen gehabt habe, meint Gloor.

Ökumenische Figur

Vielmehr werde Niklaus von Flüe heute durchaus als ökumenische Figur wahrgenommen. Sichtbar wurde dies etwa 2017, als der 600. Geburtstag des Eremiten und das Jubiläum zu 500 Jahren Reformation gemeinsam gefeiert wurden. Die Feier in Zug gipfelte in einer Umarmung von Gottfried Locher, damals Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, und dem Basler Bischof Felix Gmür.

Im Zuge der Säkularisierung passt Niklaus von Flüe aber auch zu moderneren Formen von Spiritualität, die sich im überkonfessionellen Interesse an Pilgern und Mystik zeigen. «Wenn sich heute jemand aus spirituellen Motiven für Niklaus von Flüe interessiert, spielt die Konfession keine Rolle», sagt denn auch Fritz Gloor.     

Fritz Gloor (*1949) war reformierter Pfarrer in Nidwalden und Engelberg sowie Präsident des Evangelisch-Reformierten Kirchenverbands Zentralschweiz.

    

Feier mit Kardinal Koch

Bruder Klaus starb am 21. März 1487. Nach erfolglosen Versuchen der Seligsprechung stellte die Ritenkongregation 1649 eine schon über 100 Jahre dauernde kultische Verehrung fest. 1654 anerkannte Rom das Wunderfasten. Erst gut 200 Jahre später baten die Schweizer Bischöfe Papst Pius IX. um die Heiligsprechung des Eremiten, die nach zwei Heilungen in den Jahren 1937 und 1939 möglich wurde. Die Heiligsprechung erfolgte am 15. Mai 1947 unter Papst Pius XI.

So, 15. 5., 10.00 Festgottesdienst mit Kardinal Kurt Koch | Pfarrkirche Sachseln

13.5. – 10.7. Kabinettausstellung «Heiligsprechung 1947» | Museum Bruder Klaus, Sachseln

bruderklaus.com

15. Mai 1947 in Sachseln

Einzug in die Pfarrkirche Sachseln. | Archivbild: Bruder Klaus Sachseln