Ein positiver Film über das Sterben

Erich Langjahrs neuer Dokumentarfilm «Die Tabubrecherin» setzt sich mit dem Sterben auseinander. Er begleitet eine Frau auf ihrem letzten Lebensabschnitt. Ihr Umgang mit dem Tod berührt und inspiriert.

Von Charles Martig * |  14.10.2024

«Tabubrecherin» Michèle Bowley mit ihrer Urne: Ihre Offenheit im Umgang mit dem eigenen Sterben berührt. Bild: langjahr-film.ch

Langjahr und seine Co-Regisseurin Silvia Haselbeck nähern sich dem sensiblen Thema mit Respekt und Feingefühl. Sie zeigen Michèle Bowley, ehemalige Gesundheitspsychologin des Kantons Zug, als eine Person, die sich bewusst mit ihrem bevorstehenden Tod auseinandersetzt. Bowley legt dabei eine bemerkenswerte Offenheit und Stärke an den Tag. Der Film beleuchtet nicht nur die persönliche Reise, sondern regt auch zu einer breiteren Diskussion über Sterben und Würde am Lebensende an.

«I did it my way»

Formal zeichnet sich «Die Tabubrecherin» durch Langjahrs und Haselbecks charakteristischen Stil aus. Wie in früheren Werken lassen sie den Protagonist:innen und Ereignissen Zeit, sich zu entfalten. Die Kamera beobachtet geduldig und respektvoll, ohne zu drängen oder zu urteilen. Dieser Umgang mit der Zeit erlaubt es den Zuschauer:innen, tiefer in die Thematik einzutauchen und subtile Nuancen wahrzunehmen.

Die visuelle Gestaltung ist schlicht und konzentriert sich auf das Wesentliche, wodurch die emotionale Kraft des Themas in den Vordergrund tritt. Der Einsatz von Ton und Musik ist zurückhaltend, unterstützt aber wirkungsvoll die kontemplative Stimmung des Films.

Eine Schlüsselszene ist die Vorbereitung der Abdankung, bei der Michèle Bowley teilnimmt. Sie hat als Musikstück «I did it my way» von Frank Sinatra gewählt. Der Film zeigt einen Pianisten, der der sterbenden Frau ihre Lieblingsmusik auf dem Flügel vorspielt. Sichtlich gerührt verfolgt sie den Vortrag über mehrere Minuten, bis das Stück ausklingt. Wir sehen ihre Reaktionen auf dem Gesicht.

In Würde

«Die Tabubrecherin» ist ein mutiger und wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit Sterben und Tod in unserer Gesellschaft. Der provokative Titel stammt von Bowley selbst. Sie verstand die Filmarbeiten als aktiven Prozess der Verarbeitung. Langjahr und Haselbeck beweisen einmal mehr das Gespür für relevante gesellschaftliche Themen und die Fähigkeit, diese mit Sensibilität und Tiefgang zu behandeln.

Der Film ist geprägt von Mut und Zuversicht in das Wesentliche unseres Daseins. Er schafft es, ein schwieriges Thema positiv zugänglich zu machen, ohne dabei in Sentimentalität oder Voyeurismus abzugleiten. Besonders beeindruckend ist die Würde, mit der Michèle Bowley porträtiert wird. Ihre Offenheit und ihr Umgang mit dem eigenen Sterben sind zugleich berührend und inspirierend.

Auch eine Feier des Lebens

«Die Tabubrecherin» reiht sich nahtlos in Langjahrs beeindruckendes Gesamtwerk ein und unterstreicht seine Position als einer der bedeutendsten Dokumentarfilmer der Schweiz. Der Film ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über den Tod, sondern auch eine Feier des Lebens und der menschlichen Würde.

* Charles Martig ist Filmjournalist und Verantwortlicher Kommunikation der katholischen Landeskirche Bern.

 

Luzern, Kino Bourbaki, Premiere am So, 20.10., 11.00 in Anwesenheit von Silvia Haselbeck und Erich Langjahr mit Gästen (Krebsliga Zentralschweiz) | Kinostart 24.10. (Bourbaki und Cinébar Willisau)