Geborgenheit inmitten des Krieges
Mykhaylo Chaban ist Provinzial der Salesianer Don Boscos in der Ukraine. Bei einem Besuch in Zürich berichtete er von Trauer, Hoffnung und Hilfe nach einem Jahr Krieg in seinem Heimatland.
Alltag im Don Bosco-Familienhaus Pokrova in Lviv (Lemberg). Inmitten der Waisenkinder sitzt Pater Mykhaylo Chaban. Bild: Don Bosco
Wer ist von diesem Krieg in ihre Augen am schwersten betroffen?
Pater Mykhaylo Chaban: Am meisten zu leiden haben sicher Kinder und Jugendliche. Genau sie stehen im Fokus unserer täglichen Hilfeleistungen. Sie sind dem brutalen Kriegsgeschehen hilflos ausgeliefert und werden zu Tausenden im Osten der Ukraine verschleppt, nach Russland. Jeder kann sich vorstellen, was es an Traumatisierungen auslöst, wenn Kinder aus den Kampfhandlungen heraus, nach Bombardements und manchmal auch dem tödlichen Verlust von Angehörigen von Soldat:innen in ein fremdes Land deportiert werden.
Was tun Sie für die leidenden Kinder in der Ukraine?
Regelmässig evakuieren wir Kinder aus dem Kriegsgebiet. Einmal waren es sogar 40 Kinder aus einem Luftsschutzkeller, die bereits 40 Tage lang dort ohne Trinkwasser und Hygiene ausharren mussten. Sie waren nur für die Notdurft und um mit dem Schnee Wasser aufzunehmen in Feuerpausen ins Freie gegangen. Wir konnten sie mit gepanzerten Fahrzeugen aus ihrer lebensbedrohlichen Situation befreien und zu uns ins Don Bosco Familienhaus bringen. Viele von ihnen zucken heute noch zusammen, wenn es ein lautes Geräusch gibt.
Wie helfen Sie diesen Kindern?
Im ersten Moment geht es um Stabilisierung, um ein Gefühl des Geborgenseins, um Halt, um Vertrauen ins Leben und eine bessere Zukunft. Neben der Grundversorgung mit Nahrung, Kleidung und geheizten Wohnräumen geht es uns auch um soziale Interaktion untereinander, um Bewegung und Sport, aber auch um Bildung und einen geregelten Tagesablauf. Gemeinsam mit Fachpsycholog:innen helfen wir den Kindern, die erlebten Traumata zu verarbeiten.
Was sind dabei die schwierigsten Situationen?
Wir haben aktuell drei Kinder bei uns im Waisenhaus, die noch nichts vom Tod ihrer Eltern wissen. Sie sind noch zu instabil auf allen Ebenen, um diese Nachricht verkraften zu können. So arbeiten wir gemeinsam mit erfahrenen Psycholog:innen daran, den richtigen Zeitpunkt zu finden, um die schwarzen Flecken auf der Seele, die mit dieser Schreckensbotschaft ausgelöst werden, möglichst klein zu halten. Wenn wir dann bei uns den Geburtstag eines dieser Kinder feiern und es beim Auftragen der Geburtstagstorte den innigen Wunsch äussert, mit seiner Mama telefonieren zu dürfen, dann fällt es auch uns schwer, diesem Kind mit einem vertrauenden Lächeln Freude und Hoffnung zu schenken. Aber wir schaffen das.
Was hoffen Sie für die Zukunft?
Ich hoffe auf Frieden in der Ukraine. Ich hoffe, dass die Verschleppungen unserer Kinder aufhören. Ich hoffe, dass wir bald unser Land mit aller Kraft wieder aufbauen können, für eine lebenswerte Zukunft unserer Kinder.