Gemeinsam Verantwortung tragen

Die katholische Kirche Schweiz hat eine Studie in Auftrag gegeben. Diese soll die Geschichte sexualisierter Gewalt im kirchlichen Umfeld unter­suchen. Erste Resultate werden am 12. September veröffentlicht. Folgestudien sind geplant.

 

Von Sylvia Stam |  27.07.2023

In einer Bussfeier gedachten die Schweizer Bischöfe 2016 der Opfer sexueller Übergriffe. Die Feier fand in der Basilika von Valeria in Sitten statt. Bild: Sylvia Stam

«Die Konfrontation mit einem ungeschönten und unabhängigen Bild der Vergangenheit ist dringend notwendig. Nur so werden wir auf individueller und struktureller Ebene lernen, sexuellen Missbrauch in der Seelsorge künftig zu verhindern.» Dies sagt Joseph Bonnemain, Bischof von Chur, gemäss der Website zur Pilotstudie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche Schweiz. Bonnemain ist in der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) für dieses Ressort zuständig.

Ende 2021 haben die SBK, die Vereinigung der Ordensgemeinschaften (Kovos) sowie die Römisch-Katholische Zentralkonferenz (RKZ), der Dachverband der Kantonalkirchen, eine unabhängige Pilotstudie in Auftrag gegeben. Diese soll «die Rahmenbedingungen für eine vertiefte Erforschung sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Umfeld aufzeigen und damit Grundlagen für künftige Forschungsprojekte bereitstellen», heisst es auf der Website der Auftraggeberinnen. Die Projektleitung liegt bei den Geschichtsprofessorinnen Monika Dommann und Marietta Meier von der Uni Zürich.

Resultate am 12. September

Als Ziele nennen die Auftraggeberinnen auf ihrer Website: «Erstens soll geklärt werden, welche Quellen existieren und zugänglich gemacht werden. Zu diesem Zweck werden unter anderem Opferorganisationen und Zeitzeug:innen kontaktiert. Zweitens sollen mögliche Fragestellungen und Methoden für nachfolgende Forschungsprojekte vorgeschlagen werden.» Die Pilotstudie ist inzwischen abgeschlossen, ihre Resultate werden am 12. September veröffentlicht. Die Medienkonferenz, die um 10.30 Uhr in Zürich stattfindet, kann per Livestream mitverfolgt werden. Anwesend sein werden auch Vertreter:innen von Betroffenenorganisationen. Kirchenkenner:innen rechnen mit ähnlichen Resultaten wie bei vergleichbaren Studien im Ausland.

Umgang mit Namen

«Bei Namen von Betroffenen, deren Angehörigen und weiteren Privatpersonen werden zeitgenössische Pseudonyme verwendet», schreiben die Historikerinnen auf der Website. Öffentliche Personen wie «Bischöfe, Weihbischöfe und Äbte sowie Inhaber:innen von kirchlichen Kaderstellen werden nicht anonymisiert.» Angestellte der katholischen Kirche und weiterer Institutionen, «die weder als öffentliche Personen gelten noch Kaderstellen besetzt haben bzw. besetzen», würden nur mit ihrer Funktion genannt.

Im Bewusstsein ihrer gemeinsamen Verantwortung haben SBK, Kovos und RKZ die Finanzierung weiterer Untersuchungen für die Jahre 2024–2026 inzwischen gesichert, wie sie im Juni mitteilten. Sie haben der Universität Zürich einen entsprechenden Folgeauftrag erteilt. Details dazu sowie weitere Massnahmen werden ebenfalls am 12. September bekannt gegeben.

Unabhängige Anlaufstelle

Die Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld (IG-MikU) wertet die Entscheidung für eine Folgestudie als «Schritt in die richtige Richtung», heisst es in einer Stellungnahme der IG. Sie lobt auch das Forschungsteam der Uni Zürich: «Wir erhielten durchwegs positive Rückmeldungen von Betroffenen, die von empathischen und kompetenten Mitarbeitenden des Forschungsteams angehört wurden.»

Die Deutschschweizer Betroffenenorganisation fordert jedoch weiterhin «die Schaffung einer unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene». Vor allem rund um die Veröffentlichung der Pilotstudie sei es wichtig, dass Betroffene sich an kompetente Ansprechpersonen wenden könnten.

Im Bistum Basel gibt es unabhängige Koordinations- und Beratungspersonen. Doch wenn Betroffene nach diesen suchen, landen sie direkt auf der Website des Bistums. «Unter einer unabhängigen Anlaufstelle verstehen wir eine sicht- und spürbare Unabhängigkeit», präzisiert Vreni Peterer, Präsidentin der IG, auf Nachfrage. Dies sei im Sinne einer Ergänzung zu verstehen, damit Betroffene die Wahl hätten. Wichtig sei die Niederschwelligkeit.

Unter diesem Logo haben die Schweizer Bischöfe, die Ordensgemeinschaften und die Römisch-Katholische Zentralkonferenz eine Website aufgeschaltet. Hier finden sich alle Informationen zur Pilotstudie und zum Stand der Aufarbeitung. Ein eigener Reiter listet zudem Anlaufstellen für Betroffene von sexuellem Missbrauch auf.

missbrauch-kath-info.ch

Website der Auftragnehmerinnen: missbrauchkirchlichesumfeld.ch

Interessengemeinschaft für Missbrauchsbetroffene im kirchlichen Umfeld:
ig-gegen-missbrauch-kirche.ch

Selbshilfegruppe Betroffene:
missbrauch-kirche.ch