«Hier ist etwas vom richtigen Weihnachten spürbar»

In aller Herrgottsfrühe aufstehen, um den Tag mit einem Gottesdienst bei Kerzenschein in der Kirche zu beginnen. Das ermöglichen Rorate-Gottesdienste in der Adventszeit. Ein Augenschein in Malters, Reussbühl, Ruswil und der Hofkirche Luzern.

Von Sylvia Stam |  27.11.2023

«Die Leute freuen sich über die Atmosphäre, die durch die vielen Lichter entsteht», sagt der Sakristan von Malters. In Ruswil (Bild) zündet ein Team von Freiwilligen zusammen mit dem Sakristan die 1200 Kerzen an. | Bilder: Roberto Conciatori

«Es war völlig beruhigend. Ich liebe die Dunkelheit und dann die vielen Kerzen», sagt ein junger Mann, der zum ersten Mal einen Rorate-Gottesdienst besucht hat. «Ausserhalb der Kirche ist es in dieser Zeit oft stressig, alle Leute kaufen Geschenke. Hier ist etwas vom richtigen Weihnachten spürbar», erzählt er nach dem Gottesdienst in der Hofkirche St. Leodegar Luzern beim anschliessenden Frühstück im Pfarreiheim.

Auch die ältere Frau, die ihm gegenübersitzt, schwärmt: «In der Nacht hierherzulaufen, tut schon gut. Heute war der Mond eine winzig kleine Sichel. Dann der Weg zur Kirche hoch, mit Kerzen gesäumt. Man wird vom Licht geführt, das finde ich sehr schön.»

Von Recht und Gerechtigkeit

Beim Eingang zur Kirche standen zu Beginn der Feier brennende Rechaudkerzli in einem Plastikbecher bereit, die an den Platz mitgenommen werden konnten. Dutzende brennende Kerzen bilden auf den Altären waagrechte Linien. Während draussen die Glocken dröhnen, erklingt in der Hofkirche ein feines Orgelspiel. Es ist die Melodie des gregorianischen Chorals «Rorate caeli desuper» (siehe Kasten rechte Seite). 

Gut 30 Leute sind an diesem Morgen um 6.15 Uhr in die Kirche gekommen. Sie hören die Worte Jesajas über Recht und Gerechtigkeit, die Pfarreiseelsorgerin Claudia Nuber (seit 2023 Pfarreileiterin) danach erläutert. 


Etwas länger schlafen konnten die Gläubigen in Malters. Hier beginnt der Gottesdienst erst um 7 Uhr. Dennoch ist Sakristan Pius Fallegger an diesem Dienstag bereits um 5.15 Uhr aufgestanden, um die 150 Kerzen aufzustellen. Sie säumen Ambo, Altar, Hochaltar und Tabernakel. Einzelne grosse Kerzen im Mittelgang leuchten den Besuchenden den Weg zu ihrem Platz. «Früher waren es 1000 Kerzli», erzählt Fallegger beim Frühstück, das vom Pfarreirat vorbereitet wurde, ebenso wie der Gottesdienst. 

Rorate zieht andere Leute an

Das frühe Aufstehen mag der Sakristan weniger, das Aufstellen der Kerzen jedoch schon. «Die kleinen Kerzen stehen in Metallschienen, das geht recht schnell.» Eine Leiter brauche er nicht. «Die Leute freuen sich über die schöne Atmosphäre, die durch die vielen Lichter entsteht», erzählt er. Unmittelbar nach dem Gottesdienst hat er sie mit einem Sitzkissen bereits wieder gelöscht, denn um 9.15 Uhr findet eine Beerdigung statt. «Bis dahin muss die Kirche wieder aufgeräumt sein.»

Pius Falleger stellt fest, dass Rorate-Gottesdienste immer wieder andere Leute anziehen, «auch solche, die man unter dem Jahr nicht sieht». Eine Aussage, die Pastoralraumleiter Othmar Odermatt bestätigt, auch wenn es ein «treues Stammpublikum» gebe.
«Es ist wichtig, sich und anderen in dieser hektischen Zeit Oasen der Ruhe zu schenken», so Odermatt. Deshalb hätten sie bewusst eine schlichte Form gewählt. «Und wir haben gemerkt, dass die Leute morgens noch nicht so singen mögen», sagt er lachend.

Singen als Herausforderung

Tatsächlich ist das Singen nicht nur in der Frühe, sondern auch in der Dunkelheit eine Herausforderung. In Malters und Reussbühl wird ein einfacher Kehrvers auswendig gesungen. Brennende Kerzen am Platz, wie in der Hofkirche, ermöglichen das Ablesen vom Liedblatt. In Ruswil werden für kurze Zeit die Leuchter angezündet, mit gedämpftem Licht.

Ruswil ist bekannt für seine prächtig geschmückte Kirche in den Rorate-Gottesdiensten (siehe Fotos). 1200 Kerzli brennen hier, zitiert Gemeindeleiter Adrian Wicki den Sakristan Thomas Bucher. Dieser hat sie zusammen mit einem Team Freiwilliger von 5.15 Uhr an im ganzen Altarraum, an den Seitenaltären und entlang der Emporengeländer angezündet. Dort platziert wurden sie bereits vor dem ers-
ten Rorate-Gottesdienst dieses Jahres.
Während in Ruswil und in der Hofkirche Hauptamtliche den Gottesdienst leiten, ist die Kommunionfeier in Reussbühl in der Hand von Lai:innen. «Wo viel Licht ist, ist auch Schatten», sagt ein Mann aus der Vorbereitungsgruppe zu Beginn der Feier. «Wahrnehmen wollen wir, wo viel Not ist. Handeln wollen wir, denn das Licht ist für alle da.» Anhand kleiner Szenen aus dem Alltag erläutern sie dies im Verlauf der Feier.

Frühstück gehört dazu

Dass das Frühstück überall wichtiger Teil des gemeinsamen Feierns ist, wird besonders in Reussbühl deutlich, wo die Feier um 6.15 Uhr begann. Unter den gut 25 Teilnehmenden waren auffallend viele Kinder, auch ohne ihre Eltern. «Es ist ein schöner Gottesdienst und es gibt nachher Frühstück», antwortet ein 8-jähriges Mädchen mit zwei kunstvoll geflochtenen Zöpfen auf die Frage, warum sie gekommen sei. «Die Kerzli sind schön und das Ausblasen hinterher macht Spass», fügt sie an. Ihre Kolleginnen, 10 und 12 Jahre, bestätigen das. Am Nebentisch erinnert sich eine Seniorin, dass das Frühtück nicht immer dazugehörte: «Als ich zum ersten Mal ins Rorate gehen durfte, das war in der ersten Klasse, gab mir meine Mutter ein Zehnerli mit, damit ich nachher beim Beck ein Mutschli kaufen konnte.»

Dass es beim Frühstück jedoch nicht nur darum geht, den Hunger zu stillen, verdeutlicht die Beobachtung von Priska Burri, Pfarreiratspräsidentin in Malters: «Es ist schön, wenn man etwas anbietet, und die Leute nutzen es. Hier beim Zmorge werden sehr angeregte Gespräche geführt. Das ist sehr wertvoll!»

Bilder und Feiern aus dem Jahr 2022

«Tauet, ihr Himmel!»

Der Name «Rorate» geht auf einen lateinischen Bibelvers aus dem Buch Jesaja zurück: «Rorate caeli desuper, et nubes pluant justum!» (Jesaja 45,8). Auf Deutsch: «Tauet, ihr Himmel, von oben! Ihr Wolken, regnet herab den Gerechten!» 

Rorate-Messen wurden ursprünglich zu Ehren der Gottesmutter Maria gefeiert. Ihre Bereitschaft, sich für den Willen Gottes zu öffnen, wurde als Verwirklichung der Vision des Propheten Jesaja gedeutet: «Tu dich auf, o Erde, und sprosse den Heiland hervor», heisst es im Folgesatz. 

Nach altem Brauch werden Rorate-
Gottesdienste nur bei Kerzenschein gefeiert. Dies soll die Sehnsucht nach der Ankunft Gottes in der Welt ausdrücken.