«Kirche ist nicht einfach, sie wird»
Zehn Studierende hat der erste Jahrgang am «Institut im Reusshaus» Luzern. Es bietet seit Herbst eine neue theologische Ausbildung an. Die Absolvent*innen sollen der Kirche neues Leben einhauchen.
Ruedi Beck, Co-Leiter des «Instituts im Reusshaus» Bild: Roberto Conciatori
«Ich sehne mich danach, meinen Glauben mit anderen zu teilen», sagt Madleina Signer (25) aus Basel. «Das Institut im Reusshaus öffnet die Tür zu einer Gemeinschaft, die den Glauben im Alltag lebt.» Die ehemalige Fachangestellte Gesundheit ist eine von zehn Studierenden, die seit Herbst am «Institut im Reusshaus» in Luzern die Ausbildung «Theologie und Gemeindebildung» absolvieren.
Nikola Baskarad und Madleina Signer schätzen die Kombination von Theorie und Praxis an der Ausbildung im «Institut im Reusshaus» | Bild: Roberto Conciatori
Was mit letzterem gemeint ist, erklärt Co-Leiter Ruedi Beck: «Die Studierenden lernen, wie man kirchliches Leben in oder ausserhalb einer Pfarrei neu startet oder christliche Gemeinschaften, die am Entstehen sind, fördert.» Mit Blick auf den kleinen Prozentsatz der Kirchenmitglieder, die aktiv am Leben ihrer Pfarrei teilnehmen, fügt er an: «Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass die Kirche einfach ist, sondern Kirche wird.» Beck denkt dabei nicht nur an eher Kirchenferne, sondern auch an Menschen, die vereinzelt unterwegs sind. Die Frage, ob die Pfarreien denn etwas falsch machen, verneint Beck, der auch Pfarrer der Hofkirche Luzern ist, doch er fragt zurück: «Das Durchschnittsalter der Gottesdienstbesucher*innen ist hoch. Wollen wir daran etwas ändern oder ist es uns wohl so?» Wenn etwas abnehmend sei, müsse man überlegen, ob es Alternativen brauche, sagt er. Eine solche Alternative möchte das «Institut im Reusshaus» bieten. Neu am Studiengang ist auch die ökumenische Ausrichtung. Beck teilt sich die Leitung mit der reformierten Pfarrerin Sabine Brändlin. Das Verbindende sei die Verwurzelung in Jesus Christus, die jedoch eine Breite an Positionen zulasse.
Vorbild anglikanische Kirche
Ein Geheimrezept für gelingendes kirchliches Leben habe das Institut nicht, aber es gebe ermutigende Beispiele neuer Gemeindegründungen in der anglikanischen Kirche in London, sagt Beck. Deren Erfahrung zeige, dass es drei Elemente brauche, damit Gemeindeaufbau gelingt: Einen Aufbruch von unten, eine Kirchenleitung, die das unterstützt, sowie die Schulung von Personal auf wachsende Gemeinden hin.
Ruedi Beck teilt sich die Leitung mit der reformierten Pfarrerin Sabine Brändlin. | Bild: Roberto Conciatori
«Christliche Bewegungen wie Adoray oder die Weltjugendtage ziehen Hunderte junger Menschen an, die auch in den Kirchen tätig sein wollen», erläutert Beck den ersten Punkt. Mit den Kirchenleitungen sei man im Gespräch. Im kirchlichen Beirat des Instituts sitzen katholischerseits der Basler Generalvikar Markus Thürig und der Einsiedler Abt Urban Federer.
Fehlendes Berufsbild
Noch offen ist die Frage, zu welchem Berufsbild die Ausbildung letztlich führen wird. «Es ist denkbar, dass ergänzend zu Personen, die Seelsorge-Aufgaben wie Begräbnisfeiern, Sakramentenspendung oder Katechese wahrnehmen, andere eingesetzt werden, die Fachwissen mitbringen für Projekte in Gemeindebildung», skizziert Markus Thürig mögliche kirchliche Einsatzbereiche. Dennoch gebe es innerhalb der Ordinarienkonferenz (DOK), dem Gremium der Deutschschweizer Bistümer, auch Kritik an diesem Berufsbild. Gerügt werde von manchen auch, dass die Ausbildung gestartet worden sei, ohne die kirchliche Anerkennung und Anschlussmöglichkeiten an bestehende katechetische Ausbildungen wie Formodula, an das Religionspädagogische Institut (RPI) oder ein Theologiestudium zu klären, so Thürig.
Anerkennung in Abklärung
Die DOK hat deshalb den Bildungsrat beauftragt, diese Fragen innerhalb von fünf Jahren zu beantworten. Für eine kirchliche Anerkennung braucht es laut Thürig einerseits eine inhaltliche Übereinstimmung der Ausbildungsinhalte mit der späteren Tätigkeit, weiter müssen die Qualitätsstandards für kirchliche Ausbildungen erfüllt sein. Schliesslich müsse eine solch neues Berufsbild bestimmte Alleinstellungsmerkmale aufweisen, die es von den bestehenden unterscheidet.
«Ist Gemeindebildner*in ein eigenständiger Auftrag?», konkretisiert Thürig diese Frage. Antworten könne man erst nach der Evaluation geben. Denkbar sei auch, dass die Untersuchung zum Schluss komme, ein solches Berufsbild könne es nicht geben.
Das Institut befindet sich im Reusshaus an der St. Karlistrasse in Luzern. | Bild: Roberto Conciatori
Alleinstellungsmerkmale erkennt der Generalvikar im integrativen Ansatz des Instituts, wo das gemeinsame Beten und Feiern wesentlicher Bestandteil der Ausbildung sind. Ein weiteres sei die Verbindung von Theorie und Praxis, die im Unterschied zum RPI von Anfang an gegeben sei, und schliesslich die missionarische Ausrichtung. Genau dieser Punkt sei allerdings nicht unumstritten, weil er die Frage aufwerfe, ob Absolvent*innen bestehender Ausbildungen denn nicht missionarisch unterwegs seien.
Teilzeitanstellung
Trotz dieser offenen Fragen studieren die aktuellen Teilnehmer*innen nicht ins Blaue, denn sie absolvieren die Ausbildung berufsbegleitend. So ist Madleina Signer zu 50 Prozent als kirchliche Mitarbeiterin in einer Basler Pfarrei angestellt. «Dort bin ich dabei, einen Willkommensdienst aufzubauen, der auch nach dem Gottesdienst noch da ist, um einen Raum für Begegnungen zu öffnen.» Signer organisiert ausserdem die Eucharistische Anbetung und Alpha-Live-Kurse, die zentrale Themen des christlichen Glaubens vermitteln. Sie hat die Ausbildung im Reusshaus dem RPI vorgezogen, weil sie sich nicht primär in der Katechese sieht, sondern «allgemein im Gemeindeaufbau arbeiten» will.
Madleina Signer ist bereits in einer Basler Pfarrei tätig. | Bild: Roberto Conciatori
Ihr Mitstudent Nikola Baskarad (32) aus Dietlikon leitet seit einigen Monaten ein Gebetshaus in Dietikon. Hier soll dereinst rund um die Uhr – 24/7 – gebetet werden, begleitet von Worship-Musik, also christlicher Popmusik. «Wir sprechen Gebete und Fürbitten für die Christ*innen in Dietikon und Umgebung», erklärt er. «Christ*innen fehlt oft der Bezug zum Gebet», stellt er fest.
Das Gebetshaus trage eine ähnliche Vision wie das Institut im Reusshaus, nämlich die «Einheit der Christ*innen», deshalb studiere er hier. Am Institut schätzt der KV-Absolvent «den direkten Bezug zum Arbeitsalltag. Er vergleicht die Verbindung von Theorie und Praxis denn auch mit einer Berufslehre.
Ergänzung, nicht Konkurrenz
Am Bildungsstandort Luzern ist auch die Universität mit ihrer Theologischen Fakultät und dem Religionspädagogischen Institut zuhause. Die Fakultät habe vom Angebot des «Instituts im Reusshaus» Kenntnis genommen und verfolge dessen Entwicklung gespannt, schreibt Dekan Robert Vorholt auf Anfrage. Ein erstes Gespräch habe im November stattgefunden. Die Theologische Fakultät freue sich, «mit dem Institut im Reusshaus einen weiteren Partner dazugewonnen zu haben.» Das neue Angebot werde «nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung angesehen», heisst es aus dem Dekanat. Eine Integration des neuen Angebots des Instituts im Reusshaus in das RPI oder umgekehrt sei nicht angedacht.
Nikola Baskarad leitet ein Gebetshaus in Dietikon. | Bild: Roberto Conciatori
Finanzierung durch Spenden
In den Medien kritisiert wurde fehlende Transparenz bei der Finanzierung des «Instituts im Reusshaus». Die Kosten für die dreijährige Vollzeitausbildung belaufen sich auf 8400 Franken pro Jahr. Damit sei ein Viertel der Kosten gedeckt, sagt Beck. Ein weiteres Viertel seien Zuwendungen kirchlicher Institutionen wie Kollekten und Spenden, die Hälfte stamme von privaten Spender*innen und Stiftungen, die nicht namentlich genannt werden wollten. Ende Jahr werde die Jahresrechnung offiziell revidiert. Den Vorwurf der Intransparenz deutet Beck daher als Vorurteil gegenüber Neuem. «Die Landeskirchen finanzieren sich durch Kirchensteuern, sie kennen die Abhängigkeit von freien Geldgebern nicht. In Zukunft werden sich die Kirchen jedoch auch mittels Spendengeldern finanzieren müssen. Daher werden unsere Absolvent*innen auch in unternehmerischen Fächern wie Betriebswirtschaft und Projektmanagement geschult», so Beck.
Neue Berufstätigkeit
Das «Institut im Reusshaus» in Luzern bietet eine dreijährige Aus- und Weiterbildung in Theologie und Gemeindebildung an. Ziel ist eine neue Berufstätigkeit im Bereich der Gemeinschaftsbildung und Glaubenskommunikation in der katholischen oder reformierten Kirche. Der Lehrgang in Gemeindebildung kann separat als Aus- oder Weiterbildung besucht werden. Das Studium kann voll- oder teilzeitlich absolviert werden und dauert drei bzw. sechs Jahre.