«Man muss die Krise lieben»

Krisen und die kreative Kraft des Widerstands. Das war Thema in einem Gespräch zwischen Vertreter:innen der Redaktion von feinschwarz.net und der Landeskirche Luzern. Das Online-Portal hat Ende März den «Herbert Haag Preis» erhalten.

 

Von Sylvia Stam |  01.05.2023

Sechs Mitglieder der Redaktion von feinschwarz.net zu Besuch bei der Landeskirche Luzern: (v.l.) Rainer Bucher, Franziska Loretan, Michael Schüssler, Teresa Schweighofer, Johann Pock und Birgit Hoyer. Bild: Dominik Thali

Im Anfang war eine Krise: Weil ein Printmedium aus finanziellen Gründen einging, versuchten sich einige Redaktor:innen online. Vom Erfolg, den das «Theologische Feuilleton» heute hat, sind die Macher:innen selber überrascht. Rainer Bucher, emeritierter Theologieprofessor aus Bonn, erklärt das Erfolgsrezept so: «Man muss Widerstand als Kreativitätschance sehen, nicht als Demütigung.» Ein weiterer Erfolgsfaktor sei die «völlige Unabhängigkeit von kirchlichen und staatlichen Institutionen». Die Redaktion arbeitet ehrenamtlich, das Portal finanziert sich durch Spenden, etwa von der Landeskirche Luzern.

Im freien Fall

Viel Raum nahm im Gespräch die Frage nach der Zukunft von Kirche und Theologie ein. «Die Sicherheit, dass wir auf jeden Fall etwas zu sagen haben, ist nicht mehr da», sagt Michael Schüssler, Theologieprofessor aus Tübingen. Johann Pock, Priester und Theologieprofessor in Wien, nennt dies eine «heilsame Verunsicherung». Noch weiter geht Rainer Bucher: «Man muss die Krise lieben!» Wenig später räumt er jedoch ein: «Wir sind in bestimmter Weise im freien Fall». Dies erfordere eine Neuorientierung: «Wo kann sich Neues entwickeln? Wo sind die Menschen mit ihren Fragen?» Franziska Loretan, Lehrbeauftragte an der Theologischen Fakultät Luzern, findet solche Menschen etwa in den Studierenden des Fernstudiums Theologie. Diese kämen aus der Pflege oder dem Bankwesen, seien «sehr am Fach interessiert, ohne an eine kirchliche Tätigkeit zu denken». Ähnliches berichtet Teresa Schweighofer, Theologieprofessorin in Berlin, wo kaum jemand christlich sozialisiert ist: «Das Interesse an Theologie ist gross, aber die Studierenden sehen nicht ein, weshalb sie für die Ausübung ihrer Tätigkeit den Segen des Bischofs, also die Missio, brauchen.» Auch Michael Schüssler fragt sich: «Auf welchen Horizont hin betreiben wir Theologie?» Feinschwarz.net sieht er als «ein Labor, dies zu testen».

Vielfältige Texte gesucht

Das Portal lebt stark von Gastbeiträgen. Birgit Hoyer, Theologieprofessorin aus Berlin, nutzt die Chance für einen Appell: Texte seien willkommen, nicht nur wissenschaftliche, auch Erfahrungsberichte, Interviews oder Portaits. Ein akademischer Titel sei dazu nicht nötig.  

Theologie für das Volk

Feinschwarz.net ist ein Online-Magazin, das Theologie unters Volk bringen möchte. Dazu analysiert das Feuilleton Themen der Zeit aus theologischer Perspektive. Es schafft Verbindungen zwischen Theologie, kirchlicher Praxis und gesellschaftlichen Debatten. 2015 gegründet, erreicht das Portal bis zu 100 000 Leser:innen pro Monat. Zum ehrenamtlichen Redaktionsteam gehören 13 Personen aus dem deutschsprachigen Raum – darunter Franziska Loretan aus Luzern und neu Daniel Kosch aus Zürich.

feinschwarz.net