Mehr Leben in die Kirche holen

Eine Kirche renovieren, die kaum mehr genutzt wird? Dagmersellen fragt umgekehrt: Wie renovieren, damit besser genutzt werden kann? Und kommt nun zu einem Raum, in dem weit mehr als Gottesdienste möglich sind.

Von Dominik Thali |  29.04.2022

Baukommissionspräsident Pius Fölmli, Seelsorgerin Katharina Jost Graf und Sakristan Beat Achermann in der leer geräumten Dagmerseller Kirche. Achermann hält ein Stück einer alten Kniebank. Deren Holz wird für die neue liturgische Ausstattung verwendet. Bild: Roberto Conciatori

Weit denken, sich Zeit nehmen, viele Beteiligte einbeziehen. Und beharrlich bleiben, wenn die Denkmalpflege erst einmal Nein sagt. Daran halten sich Kirchgemeinde und Pfarrei Dagmersellen, seit sie vor drei Jahren die Innenrenovation anpackten. Im August, wenn Bischof Felix Gmür die Kirche wieder einweiht, erreichen sie ihr Ziel: ein Gotteshaus, das «grundsätzlich Raum zum Sein bietet, nicht nur am Sonntagvormittag und nicht nur für die traditionelle Liturgie», wie Seelsorgerin Katharina Jost Graf erklärt. Durch den Bau der Pfarreiheime in den sechziger Jahren sei das Bewusstsein verloren gegangen, sagt sie, «dass in der Kirche nicht nur Gottesdienste stattfinden können, sondern weit mehr». Dieses Denken wolle Dagmersellen mit der Mehrfachnutzung der Kirche wieder stärken.

Kirchenrat Pius Fölmli, Präsident der Baukommission, wägt schlicht Aufwand und Ertrag ab: «Wenn wir so viel Geld für ein Gebäude aufwenden, das gerade noch ein-, zweimal die Woche gebraucht wird, muss dieses künftig mehr Nutzen bringen.» Umgekehrt gelte: Nur ein nutzbares Gebäude werde auch gerne unterhalten.

Mitglieder mitreden lassen

Was für eine Kirche aber wünschen sich die Menschen? Das Seelsorgeteam, der Kirchenrat und der Pfarreirat Hürntal luden im Sommer 2019 den Pastoralraum ein, laut darüber nachzudenken. Eine Spurgruppe hatte zuvor Ideen gesammelt; es ging ihr darum, «bei dieser Renovation die einmalige Chance (zu packen), den Kirchenraum dem heutigen Glaubensverständnis anzu­passen», wie der «Willisauer Bote» über die damalige Versammlung schrieb, an der 70 Personen teilnahmen.

Stühle statt Bänke

Ergebnis: Die Kirche sollte vorab Raum für Gottesdienste bleiben, aber auch «modern» sein und «Junge ansprechen». Bei der Raumausstattung lautete die meistgenannte Antwort: Stühle statt Bänke, flexibler sein. Die Versammlung nahm damit den Wunsch von Seelsorgeteam, Kirchenrat und Pfarreirat auf.

Die leer geräumte Dagmerseller Pfarrkirche. Im vorderen Schiff gibt es künftig Stühle statt Bänke. | Bild: Roberto Conciatori

Es sei ihnen wichtig gewesen, möglichst viele Leute in das Renovationsprojekt einzubeziehen, sagt Katharina Jost Graf. Das Projekt werde nun auch breit unterstützt. Sakristan Beat Achermann verweist auf das einstimmige Ja zum Baukredit von rund 1,6 Millionen Franken an der Kirchgemeindeversammlung vom 26. Mai 2021. «Da gab es gar nicht mehr viel zu reden. Es war klar: Der Kredit ist der nächste, logische Schritt. Und die Gelegenheit einmalig.»

Durch den Bau der Pfarreiheime in den sechziger Jahren ist das Bewusstsein verloren gegangen, dass in der Kirche nicht nur Gottesdienste stattfinden können, sondern weit mehr.Katharina Jost Graf, Theologin und Pfarreiseelsorgerin

Zu diesem Zeitpunkt war freilich noch nicht klar, ob die kantonale Denk­malpflege auf den Wunsch, die Bänke durch Stühle zu ersetzen, überhaupt eintreten würde. Die beiden Gegenüber machten am Ende gewissermassen halbe-halbe: Die Bänke in der vorderen Hälfte und im hinteren Bereich dürfen entfernt werden, jene in der Mitte des Kirchenschiffs bleiben bestehen. Die Bänke stammten wohl von der letzten grossen Innenrenovation und seien deshalb von «verminderter kunsthistorischer Bedeutung», erklärt die zuständige Gebietsdenkmalpflegerin Isabella Meili-Rigert. Sie sagt aber auch: Die Raumwirkung und Besucherführung eines Kirchenraums verändere sich durch den Ersatz der Kirchenbänke «fundamental». Bänke brächten «eine klare Ordnung», Stühle wirkten «sehr unruhig». Ein Baudenkmal sei Zeuge seiner Entstehungszeit, der damals geltenden Vorlieben und Lebens- und Geisteshaltung. Die Denkmalpflege wolle diese Werte «möglichst authentisch» auf die nächste Generation übertragen. Diesen Auftrag könne sie durch den teilweisen Erhalt der Bänke erfüllen und zugleich die «veränderten Bedürfnisse der Kirchgemeinde» berücksichtigen.

Spielraum nutzen

Damit müssten sich Kirchgemeinde und Pfarrei zufrieden geben, sagt Pius Fölmli, räumt aber ein, dass aus Sicht der Baukommission der vollständige Ersatz der Bänke durch Stühle noch viel mehr Spielraum gegeben hätte. «Damit wäre sogar ein Samichlauseinzug bei schlechtem Wetter denkbar gewesen.» Katharina Jost Graf pflichtet ihm bei, meint jedoch, dass schon das offene vordere Kirchenschiff und der gewonnene Raum im hinteren Bereich mehr ermögliche. Zum Beispiel Filmabende, Podiumsgespräche oder Apéros. Die Frauengemeinschaften etwa planen ihren Anlass «Frauen tauschen Kleider» nächstes Jahr in der Kirche statt im Pfarrei- und Gemeindezentrum.

Neue Gesichter treffen

Sakristan Beat Achermann freut sich auf die neue Vielfalt. Er weiss, dass sie ihm mehr Arbeit bescheren wird, hofft aber, künftig «wieder mehr Leute in der Kirche zu treffen, die sonst keinen grossen Bezug mehr dazu haben.» Auch diese Absicht sei mit der Umgestaltung verknüpft.

Künstler Rochus Lussi (links) in der Schreinerei des Klosters Engelberg. Hier entstehen aus den Eichenbohlen der Kniebänke die liturgische Möblierung der renovierten Pfarrkirche. | Bild: Roberto Conciatori

 

 

Kirche ist 200 Jahre alt

Die Pfarrkirche Dagmersellen, 
dem heiligen Laurentius geweiht, besteht seit 200 Jahren. Die Fest­woche zum Jubiläum findet vom 15. bis 21. August statt und wird mit der Wiedereinweihung nach der Innenrenovation verbunden.

Die Laurentius-Kirche, von den Gebrüdern Josef und Franz Händle geschaffen, sei «eine schlichte, klassizistische Variation des spätbarocken Typus der Zentralschweizer Landkirche», schreibt die kantonale Denkmalpflege über den Bau. Sie habe trotz mehrerer, teils tiefgreifender Renovationen «ihre klare, ruhige Gliederung und die ländlich-heitere Ausstrahlung bewahrt».

pastoralraum-huerntal.ch

Kniebänke werden zu Altar

Im vorderen und hinteren Kirchenschiff der Pfarrkirche Dagmersellen werden die Bänke durch Stühle ersetzt, aber nicht einfach entsorgt. Die Eichenbohlen der Kniebänke verwendet Künstler Rochus Lussi für die neue liturgische Ausstattung, also vorab für Altar, Ambo und Sedes (Stühle). Das Bankholz wieder zu verwenden, war eine wichtige Option beim Wettbewerb für die neue Kirchenmöblierung.
Bei der liturgischen Ausstattung spricht auch die Diözesane Bau- und Kunstkommission mit. Diese muss die nach Kirchenrecht vor­geschriebene Erlaubnis des Bischofs erteilen, wenn Sakralräume renoviert, umgebaut oder neu gebaut werden.