Miteinander am gleichen Tisch

Flüchtlinge brauchen ein Dach über dem Kopf. Aber auch einen Ort, wo sie bereden können, was sie belastet. Die wöchentliche Gesprächsrunde in Adligenswil von Geflüchteten und Gastfamilien ist ein solcher.

Von Dominik Thali |  10.11.2022

Zusammen essen, spielen, lachen und weinen: das Café lokal-gobal in Adligenswil. Bild: Roberto Conciatori

«Danke. Solche Treffen tun mir gut», sagt Yevheniia. In der vergangenen Stunde hat die Frau aus der Ukraine von ihrer Tochter erzählt. Die 15-jährige entgleitet ihr gerade. Sie drängt zurück nach Kiew, in die Heimat, wo Krieg herrscht. Tränen fliessen.

Zusammenhalt entsteht

Es gibt keine Lösung an diesem Abend. Aber Menschen, die Yevheniia zuhören. Und mit ihren eigenen Erfahrungen Mut machen. Eine Frau berichtet etwa, in ihrer Familie habe es jeweils geholfen, im Gespräch der Tochter die elterliche Angst begreiflich zu machen. Yevheniia nickt.

Gemeinschaft stärkt die Menschen: Am «Café lokal-global» in Adligenswil im September. | Bild: Roberto Conciatori

Im Kreis im Pfarreisaal Adligenswil sitzen drei Frauen aus der Ukraine, die seit April in der Gemeinde leben, und Barbara Jud, die eine ukrainische Mutter mit ihren zwei Jugendlichen in ihrem Haus beherbergt. Dabei ist auch Mirjam Meyer, Präsidentin des Frauenbunds Adligenswil und engagiert in der Asylbegleitgruppe der Gemeinde. Simon Greuter schliesslich leitet an und übersetzt. Er ist in der Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion tätig und baut seit 2017 in der Ukraine ein Netzwerk von Selbsthilfegruppen auf.

Ziel der Integration ist es, Herzen und Türen zu öffnen. Und zwar sachte.
Mirjam Meyer, Asylbegleitgruppe Adligenswil

In Adligenswil hat sich die Zahl der Flüchtlinge mit der Ankunft der Frauen, Jugendlichen und Kinder aus der Ukraine im April auf rund 50 verdoppelt. Die Asylbegleitgruppe, seit fünf Jahren als Verein organisiert, getragen von den Kirchen und vom Frauenbund, lud noch im gleichen Monat zu einem orthodoxen Ostertreffen für die Geflüchteten und die Gastfamilien ein. «Wir wollten erfahren, wer alles da ist, wo es familiäre Netze gibt und wer welche Bedürfnisse hat», erklärt Mirjam Meyer. Und fügt an: «Es flossen viele Tränen, es entstand aber auch ein enormer Zusammenhalt.»

Alle lernen voneinander

Geht es bei den Behörden in der Regel ums Organisieren, sucht die Asylbegleitgruppe zuerst das Gespräch. Sie will die Geschichte der Geflüchteten erfahren, ein Vertrauensverhältnis aufbauen. «Wir müssen willkommen sein. Das braucht Zeit», sagt Meyer. Ziel der Integration sei es, Herzen und Türen zu öffnen – «und zwar sachte.»

Im «Café lokal-global» in Adligenswil kommen Einheimische und Geflüchtete in Kontakt. Rechts Mit-Initiantin Mirjam Meyer. | Bild: Roberto Conciatori

Simon Greuter knüpft hier an. Es sei zwar «schön und wichtig», dass der Staat die Grundbedürfnisse der geflüchteten Menschen decke. «Für das seelische Wohlbefinden reicht das aber oft nicht.» Elementar sei dafür die Gemeinschaft. «Das Gefühl, Teil davon zu sein, nicht nur zu empfangen, sondern auch gebraucht zu werden.» Die montäglichen Gesprächsrunden begünstigten dieses Empfinden, sagt Greuter. An diesem Ort könnten die Menschen einerseits darüber sprechen, was sie belastet, ohne dafür bewertet zu werden oder Ratschläge zu erhalten. Andererseits – und weil auch Gastfamilien teilnehmen – lernten alle voneinander, weil man von den Erfahrungen und hilfreichen Strategien der anderen etwas mitnehmen könne.

Barbara Jud teilt diese Meinung. Sie und ihr Mann stellen seit März einer Mutter mit ihren zwei Jugendlichen das Obergeschoss ihres Hauses zur Verfügung. Neben der Grundversorgung sei es «ganz wichtig», den geflüchteten Menschen «zu vermitteln, dass wir sie respektieren und ihnen das Gefühl vermitteln, auch für uns wichtig zu sein». Auf sich bezogen, meint Jud damit: «Die Dankbarkeit ist gegenseitig. Schliesslich verteidigen die Menschen in der Ukraine auch unsere Werte.»

Lachen und Spielen

Vom Vertrauensverhältnis, das Mirjam Meyer erwähnt hat, scheint an der Gesprächsrunde an diesem Montagabend viel erreicht zu sein. Es wird auch gelacht, und an den Spielen zur Auflockerung machen alle mit. Ein anderes Angebot ist das «Café lokal-global», das alle paar Wochen am Freitag im Foyer der Thomaskirche und zwischendurch am Samstag vor dem Coop stattfindet. Diesen Treff gibt es schon sieben Jahre, jetzt setzen sich auch Frauen und Kinder aus der Ukraine an den Tisch.

Die Treffen stärkten die Gemeinschaft, hat die Asylbegleitgruppe bei einer Auswertung Ende September festgestellt. Simon Greuter: «Sie geben den Menschen das Gefühl, mit ihren Problemen nicht allein, aber auch selber für das eigene Leben verantwortlich zu sein.»

Mentorinnen und Mentoren gesucht

Zurzeit leben rund 2500 Geflüchtete aus der Ukraine im Kanton Luzern. Die Caritas hilft ihnen direkt und unterstützt Personen und Gruppen vor Ort, die sich für die Geflüchteten einsetzen. Beispielsweise trafen sich im Oktober über 30 kirchliche Mitarbeitende und Freiwillige zu einem Austausch im Kultur- und Begegnungszentrum Prostir in Reussbühl. Solche Austauschtreffen werden zwei- bis dreimal jährlich angeboten.

  • In einem Mentoring-Projekt unterstützen Freiwillige der Caritas Luzern Geflüchtete aus der Ukraine persönlich in Alltags- und Freizeitthemen. «Ukrainische Geflüchtete erweitern so ihr soziales Netz, festigen ihre Deutschkenntnisse und fühlen sich gestärkt für den Alltag in der Schweiz», sagt Stefanie Gisler, zuständig für Migrationsthemen bei der Caritas. Für dieses Projekt sucht die Caritas noch weitere Freiwillige.
  • Weiter hat die Caritas Luzern ein Pilotprojekt lanciert, in dem sie ukrainische Geflüchtete bei der Stellensuche unterstützt.

Caritas Integrationsangebote
Kontakt: Stefanie Gisler, 041 368 51 31, s.gisler@caritas-luzern.ch