Mutig sein kann man üben

Im Bus pöbelt ein Fahrgast eine Mitreisende an. Soll man einschreiten? Wenn ja, wie? Im Kurs «Zivilcourage» wird anhand von Rollenspielen geübt, wie man Konfliktsituationen erkennen und darauf reagieren kann.

 

 

Von Sylvia Stam |  12.05.2023

«Kann ich eingreifen? Welche Strategie habe ich?» Lea von Büren erklärt anhand einer Ampel, wie man heikle Situation einschätzen soll. Bild: Sylvia Stam

«Hesch mer e Zigi?», fragt ein neu zugestiegener Fahrgast eine junge Frau im Zug. Sie sitzt alleine im Abteil. Der Mann setzt sich dazu, rückt immer näher zu ihr und greift schliesslich in ihren Rucksack. Der Frau ist es sichtlich unwohl, sie ist jedoch unfähig zu reagieren.

Mit dieser gespielten Szene beginnt der Kurs «Zivilcourage – Einschreiten statt wegsehen» im Rhynauerhof Luzern. Dessen Trägerverein «Frauen im Zentrum (F*IZ)» hatte das Angebot bei Amnesty International Schweiz (AI) gebucht.

«Hättet ihr eingegriffen?», fragt Kursleiter Melvin Hasler, Theaterpädagoge bei AI, die 14 Teilnehmenden. Die meisten hatten beim Beobachten der Szene ein ungutes Gefühl, jedoch herrscht grosse Unsicherheit darüber, ob, wann und wie man denn eingreifen könnte. Anhand von Rollenspielen und theoretischen Inputs vermitteln Melvin Hasler und Lea von Büren, Soziokulturelle Animatorin, Tipps und Tricks, wie man als Zeuge oder Zeugin solcher Situationen handlungsfähig bleibt.

Was ist das Ziel?

Dabei wird deutlich, dass es nicht «die eine Lösung» gibt, die zu einer Entspannung der Situation führt. Vielmehr ist die Art und Weise abhängig davon, welches Ziel man mit der Intervention erreichen möchte: Will ich jemanden aus einer Notsituation befreien? Oder will ich meiner Wut über eine sexistische Äusserung Ausdruck geben? Will ich einem Opfer Anteilnahme zeigen?

Im Kurs spielen die Teilnehmenden Szenen nach, die sie selber erlebt haben und probieren so andere Handlungsmuster aus. Erfrischend konkret geben die beiden Leitenden immer wieder Inputs: «Das eigene ungute Gefühl ist ein guter Indikator dafür, dass etwas nicht stimmt», sagt Lea von Büren. «Blamage gehört zur Zivilcourage», so Melvin Hasler, «lieber blamiere ich mich fünfmal und helfe einmal jemandem aus einer Not, als gar nicht einzugreifen.» Besser fragen: «Ist alles ok?», statt direkt zu konfrontieren. Sich Verbündete holen: «Wie nehmen Sie das wahr?» Lieber früh eingreifen. Und über allem der Hinweis: sich selber schützen.

Ermutigte Teilnehmer:innen

«Ich weiss jetzt, dass ich etwas tun kann», sagt eine Teilnehmerin (52) aus Sempach beim Feedback: «Ablenken, auf paradoxe, also unerwartete Art intervenieren», nennt sie als Beispiele. «Ich kann andere Leute ansprechen, bevor ich eingreife», so eine Frau (31) aus Ebikon. Der Morgen bestätigt, was zu Beginn gesagt wurde: Mut kann man üben.

Menschenrechte im Fokus

Einschreiten statt wegsehen, Argumentieren gegen Stammtischparolen, Zivilcourage bei sexueller Belästigung, Antirassismus: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweiz bietet zu solchen und anderen Themen Weiterbildungen an, die Schulen, Pfarreien oder Teams buchen können. In alltagsnahen Kursen üben die Teilnehmenden mit Rollenspielen, die eigenen Rechte oder die ihrer Mitmenschen zu verteidigen und gegen Ungerechtigkeiten vorzugehen. Sie erhalten zudem die theoretischen Grundlagen dazu.

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