Ohnmacht öffnet die Türe zu Gott

Wer anderen helfen möchte, kann an Grenzen stossen. Auf solche Ohnmachtserfahrungen sollte man nicht mit Macht reagieren, erläutert der Luzerner Theologe Lukas Fries-Schmid in seinem Buch. 

Von Sylvia Stam |  14.03.2022

Ohnmacht aushalten heisst, eine Veränderung für möglich halten, die von Gott stammt. Im Bild: Frühlingsblumen im Garten des Sonnenhügels. Bild: zVg

«Helfen ist Macht», lautet der provokative Titel über dem ersten Teil des Buches «Hör auf zu helfen». «Helfen macht Lust, weil ich mich dabei stark fühle und etwas bewirken kann», fährt der Autor fort. Der Seelsorger Lukas Fries-Schmid weiss, wovon er spricht: Er leitet zusammen mit seiner Frau Sandra Schmid Fries den Sonnenhügel in Schüpfheim, wo sie im ehemaligen Kapuzinerkloster Menschen in Krisenphasen begleiten. Mit der oben geschilderten Haltung würden Helfende durch ihre Hilfe Macht ausüben, und zwar deshalb, «weil wir uns selbst ohnmächtig fühlen», lautet eine der Hauptthesen seines Buches. 

Missbrauch von Hilflosen

Wer jedoch diesem unangenehmen Gefühl ausweichen möchte, indem er zu Machtmitteln greife, überschreite «die Linie zum Missbrauch der Hilfsbedürftigen», ist der Autor überzeugt. 

Anhand anschaulicher Beispiele aus seinem Alltag in der Begleitung von Gästen des Sonnenhügels zeichnet er verschiedene solcher Formen von Machtmissbrauch nach. Sie gipfeln in der Aussage, Helfende und Hilfesuchende sollten «aufhören, füreinander da zu sein, und beginnen, miteinander zu leben». Das aber bedeute, «miteinander die Leerstellen im Leben aushalten: unsere Ohnmacht». Denn letztlich erinnere die Gegenwart eines hilflosen Menschen daran, «dass sich das Leben ganz allgemein – und damit auch unser eigenes Leben – über weite Strecken unserem Einfluss entzieht».

Christliche Quellen

Inspiriert von biblischen Texten, aber auch von Quellen wie Klara von Assisi oder dem amerikanischen Franziskaner Richard Rohr, folgt eine eigentliche «Liebeserklärung an die Ohnmacht»: Wer Ohnmacht bewusst wahrnehme und aushalte, dem könne sie zur Einladung werden, «mich als Teil eines grösseren Ganzen zu er­kennen», ja letztlich zur «Türöffnerin zu mir selber und zu Gott». 

Wie das konkret eingeübt werden kann, zeigt der letzte Teil. Wer angesichts mancher provokativen These und des hohen Anspruchs des bisher Gesagten etwas zurückschreckt, findet hier erfrischend pragmatische Beispiele, wie Ohnmacht gestaltet werden kann: «realistisch bleiben», sich eine vorurteilsfreie Haltung bewahren oder ein Abendritual des Dankens, auch mit Kindern, entwickeln. Spätestens hier wird deutlich, dass Ohnmacht jede und jeden von uns angeht. Tröstlich auch der Schluss: «Es bleibt ein ständiges Ringen. Wir bleiben Übende.»

Leben in Gemeinschaft

Im «Sonnenhügel – Haus der Gastfreundschaft» in Schüpfheim leben Menschen in Krisenphasen für maximal sechs Monate mit der Kerngemeinschaft mit. Gemeinsam teilen sie Mahlzeiten und Hausarbeit. Die Kerngemeinschaft pflegt einen einfachen Lebensstil und hält zwei Gebetszeiten pro Tag. Diese sind für die Gäste freiwillig. 

sonnenhuegel.org