Reisen zu Lebensreisen machen

Gereon Alter (57) stammt aus dem Ruhrgebiet, ist katholischer Pfarrer in Essen und fährt gern Velo. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben, mit dem er ermutigt, aufzubrechen. Das geht auch ohne Velo.

 

Von Dominik Thali |  14.01.2025

«Gott ist in allen Dingen zu finden»: Gereon Alter unterwegs im Kanton Graubünden. Das Selfie entstand 2007. Bild: Gereon Alter

Sie schreiben, das Reisen mit dem Rad sei eine «hervorragende Lebens- und Glaubensschule». Was haben Sie in dieser Schule gelernt?

Gereon Alter: Eine Menge. Zum Beispiel, dass sich Angst vor dem Fremden in Lust auf Neues verwandeln kann. Oder, dass es sich lohnt, sich anzustrengen. Dass es immer Hilfe gibt. Dass es gemeinsam besser geht. Und nicht zuletzt: dass Gott in allen Dingen zu finden ist.

«Wer radelt, der findet», lautet der Buchtitel. Was haben Sie gefunden?

Wunderschöne Naturlandschaften. Dinge, von denen ich nicht einmal wusste, dass es sie gibt. Menschen, die mich beeindruckt haben. Gastfreundschaft, gute Gespräche. Erlebnisse, die ich nicht mehr vergessen werde. Und durch all das habe ich auch ein wenig mehr zu mir selbst gefunden.

Ihr Buch will helfen, der eigenen Sehnsucht auf die Spur zu kommen. Steckt die in jedem Menschen?

Im religiösen Sinne vielleicht nicht. Aber die meisten Menschen leben doch auf etwas hin, wollen etwas. Glücklich werden, zufriedener sein, gelassener mit sich und anderen umgehen können. Da lohnt es sich dann, mal etwas genauer hinzuschauen und sich zu fragen: Wo genau will ich mit meinem Leben eigentlich hin?

Dabei müsse man «vor allem Lust haben und aufbrechen wollen», schreiben Sie. Was ist mit denen, die sich damit schwertun?

«Aller Anfang ist schwer», sagt der Volksmund. Das gilt für den Aufbruch zu einer Radtour bei grauem Himmel genauso wie für die mitunter ja nicht leichte Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Aber die Mühe lohnt sich. Einfach mal etwas wagen, eine Hürde überspringen, etwas anders machen als bisher: Das hat schon so manchen glücklicher werden lassen.

Warum soll Ihr Buch auch jemand lesen, der nicht Velo fährt?

Es ist weder Reiseführer noch Praxisratgeber. Auf der einen Ebene erzähle ich konkret von meinen Reiseerlebnissen. Auf der anderen geht es um Erfahrungen und Einsichten, die sich auch auf andere Weise gewinnen lassen. Deshalb ermutige ich die Lesenden, sich immer wieder mal zu fragen, was das Geschilderte denn mit ihrem Leben und ihren Träumen zu tun hat. Das Buch will also vor allem inspirieren und zu eigenen Entdeckungen ermutigen.

Plädieren Sie für Entschleunigung?

Ich kenne kaum eine andere Reiseform, die einem derart schöne und nachhaltige Eindrücke vermittelt, wie es das Reisen mit dem Fahrrad tut. Ich spüre meinen eigenen Körper, inhaliere den Duft eines Waldes, sehe eine sich ständig verändernde Landschaft an mir vorbeiziehen und begegne Menschen, denen ich als Passagier eines Kreuzfahrtschiffes nie und nimmer begegnen würde. Ja, mein Buch ist schon auch ein Plädoyer dafür, sich nicht einem von Marketing-Gesetzen bestimmten Massentourismus zu überlassen, sondern zu einer eigenen, selbstgemachten Reise aufzubrechen.

Wie sind Sie in Ihrem beruflichen Alltag unterwegs?

Ich bin ein Freund der «Mixed Mobility». Vieles in meinem Alltag kann ich zu Fuss erledigen, für anderes brauche ich den öffentlichen Verkehr oder das Auto, wieder anderes geht auch online. Aber sicher: Wann immer es geht, steige ich aufs Rad – und sei es nur, weil es sich wie ein Kurzurlaub im Alltag anfühlt.

Gereon Alter fragt die Lesenden, was das Geschilderte mit ihren Träumen zu tun hat. Quelle: Simon Wiggen

Die «Bewahrung der Schöpfung» ist eine Aufgabe der Kirchen. Ist auch dies ein Aspekt, der Sie zum Radfahrer macht?

Ich glaube, dass meine Öko-Bilanz insgesamt ganz gut aussieht – auch wenn ich schon die eine oder andere Fernreise gemacht und dabei mein Rad in den Flieger gepackt habe. Den grösseren Beitrag zur Bewahrung der Schöpfung leiste ich aber sicher damit, dass ich von meinen Reisen berichte: wie es sich anfühlt, durch einen Regenwald zu fahren, den es inzwischen nicht mehr gibt; wie ein Gletscher noch vor dreissig Jahren aussah; oder wie es Menschen geht, denen es schlichtweg an Trinkwasser fehlt.

Wohin führt die nächste Tour?

Ich bin im Herbst von einer Japan-Tour heimgekehrt, so dass ich mir noch keine Gedanken machen konnte. Aber es würde mich mal wieder reizen, einfach von zu Hause aus aufzubrechen. Denn auch ganz in der Nähe lässt sich Berührendes und Bewegendes erleben.