«Schreibe ich, verstehe ich besser»

Der frühere Priester Pierre Stutz erzählt in seinen Büchern viel von 
sich selber – und jetzt sein ganzes Leben. In seiner Autobiografie konzentriert sich der Bestsellerautor auf das, was der Titel verheisst: «Wie ich der wurde, den ich mag».

Von Marcel Friedli-Schwarz (Erstpublikation im «pfarrblatt» Bern) |  30.10.2023

«Heute mag ich mich», sagt Autor Pierre Stutz. Bild: Stefan Weigand

Wie viele Tränen sind beim Schreiben geflossen?
Viele. Etliche Male hat mich das Leben in die Enge geführt. Dadurch entstand letztlich neue Kraft. Das ist nicht selbstverständlich. Viele Menschen zerbrechen an Schwierigem und Schwerem. Mit meinem Beispiel will ich dazu ermutigen, dass es möglich ist, seinen Weg zu finden – zum eigenen Original.

War es eine Art Therapie für Sie, Ihre Autobiografie zu schreiben?
Das Schreiben hat für mich eine zusätzliche Dimension: Schreibe ich, kann ich mich und die Welt besser verstehen. Schreibe ich nicht, werde ich depressiv. Schreiben schafft Distanz und schenkt eine neue Perspektive. Das ist auch bei diesem Buch über mein Leben passiert.

Verbirgt sich hinter diesem Unterfangen eine Portion Narzissmus? 
Auch wenn das Buch von meinem Leben handelt und ich darin die Hauptrolle spiele, geht es nicht alleine um mich. Sondern um all die Menschen, die sich dieselben Fragen stellen und Ähnliches erleben. Zudem: Die Mystikerinnen und Filmemacher, die ich zitiere, stellen meine Erfahrungen in einen erweiterten Zusammenhang.
Wer einen Film macht, Songs komponiert, ein Buch schreibt, drückt sich aus. Dabei spielt das Ich eine Rolle, in einem künstlerischen Sinn – dass man sich ausdrückt. Berührt ein Werk andere, ist das wunderbar. Ich ermun­tere alle Menschen, das zu machen, wozu es sie drängt, wonach sie sich sehnen.

In Ihren Büchern beschreiben Sie Ihr Burnout und den sexuellen Missbrauch (ausserhalb von Kirche und Familie). Wie viel Neues erfährt man jetzt?
Viele Episoden sind treuen Leser:innen bekannt. Sie werden mit diesem Buch in neuem Guss präsentiert. Mit der Frage: Wo ist Versöhnung passiert? Wie habe ich gelernt, liebevoller mit mir umzugehen, mich auch um mich zu kümmern? Wo und wie gelingt es mir, mich von tief eingebrannten Mustern zu befreien?

Mögen Sie sich heute?
Ja, heute mag ich mich. Das ist das Glück meines Lebens. Nachdem ich neunundvierzig Jahre gegen mich gekämpft hatte. Unglaublich, dass ich das so lange machte. Wegen der Angst, abgelehnt zu werden. Sie trieb mich in die Enge. Das verpasste Leben tut weh. Heute erlaube ich der Angst, nur eine der Stimmen im Ich-Team zu sein. Auch wenn sie mich hie und da noch terrorisiert, kann ich diese Erkenntnis heute meist gut umsetzen.

Eine Biografie lebt vom Etikett: echt und wahr. Mitunter kann eine Autobiografie indes das Fiktionalste sein, das es gibt – Geschichten über das eigene Leben.
Vieles habe ich weggelassen. Ich habe versucht zu verdichten. Habe mir überlegt, was für den roten Faden relevant ist: wie ich mich mögen kann.

Pierre Stutz: Wie ich der wurde, den ich mag | Verlag bene! | ISBN 978-3-96340-245-6