Steinbrocken aus dem Weg räumen

Daniel Kosch versteht den Frust vieler Katholik:innen über ausbleibende Kirchenreformen. Der frühere Generalsekretär des Dachverbands der Landeskirchen fordert von Synodalen und Bischöfen, den «Konservativen mutig Einhalt zu gebieten».

Von Annalena Müller, «pfarrblatt» Bern |  27.09.2024

In Rom wie im Bistum Basel wird in Kleingruppen über Veränderungen in der katholischen Kirche diskutiert. Im Bild: Synodale Versammlung des Bistums Basel in Bern im Herbst 2023. |Bild: José R. Martinez

Im Oktober geht die «Weltsynode» in die zweite und finale Runde. Beim Besuch von Kardinal Grech in Bern wurde deutlich: Rom und Basis sind sich fremd. Warum ist die Synode so schwer vermittelbar?
Daniel Kosch: «Synode» heisst wörtlich «gemeinsamer Weg». Dass wir in der Kirche «gemeinsam unterwegs» sind, klingt einerseits selbstverständlich, ja banal. Anderseits ist es kompliziert, weil sich sofort die Frage einstellt, was denn «miteinander» konkret heisst, wenn demokratische Schweizer:innen mit hierarchischen Römer:innen zusammentreffen. Oder wenn fortschrittliche Befürworter:innen einer kirchlichen «Ehe für alle» sich mit Vertreter:innen der traditionellen Geschlechterordnung verständigen sollen.

Genau – was heisst «miteinander» konkret?
Es gilt so offen wie möglich im Dialog zu bleiben, auch wenn man meint, die Trägheit des Systems und die festgefahrenen Diskussionen nicht mehr aushalten zu können. Das geht aber nur, wenn beide Seiten dazu bereit sind.

Warum sollte sich die demokratische Schweizer Basis trotz allem für die römische Weltsynode interessieren?
Das Projekt einer synodalen Kirche ist in der katholischen Welt derzeit das einzige Reformvorhaben, an dem sich viele beteiligen. Und zwar auf allen Kontinenten, an der Basis und in der Hierarchie, Fortschrittliche und Bewahrende. Dass konservative Kräfte versuchen, der Synodalität möglichst viele Steine in den Weg zu legen, ist ein Zeichen dafür, dass das Projekt durchaus Sprengkraft hat. Zudem gibt es gute theologische Argumente für eine demokratische Synodalität. Sie hat das Potenzial, Kirche und Gesellschaft miteinander ins Gespräch bringen. Und sie kann dort Brücken bauen, wo heute wachsende Entfremdung das Bild dominiert.

Es führt kein Weg daran vorbei, Schritte zu gehen, wo Sprünge unmöglich sind.
Daniel Kosch

Papst Franziskus hat die besonders umstrittenen Themen – inklusive Frauen und Diversität – in Arbeitsgruppen ausgelagert. Belügt man sich nicht selbst, wenn man von der Synode Reformen erwartet?
Ich verstehe den Frust und ich teile ihn auch. Es ist paradox und unfair, zu erwarten, dass Frauen und diverse Menschen sich erst wirklich gleichberechtigt an der Diskussion über neue «Spielregeln» für das Miteinander in der Kirche beteiligen sollen, nachdem eine männerdominierte Kirche diese Spielregeln festgelegt hat. Aber ich muss akzeptieren, dass längst nicht alle in der Weltkirche das als unfair ansehen. Es führt daher kein Weg daran vorbei, Schritte zu gehen, wo Sprünge unmöglich sind. Wir müssen die vorhandenen Spielräume bis an die Grenzen ausdehnen, solange die alten Gesetze in Kraft sind.

Das klingt jetzt nach Kirche an der Hierarchie vorbei machen …
... oder mit der Hierarchie zusammen. Denn die bischöflichen Synodalen haben oder hätten es in der Hand, sich laut und deutlich dafür einzusetzen, dass diese Fragen aufs Tapet kommen, auch wenn sie nicht auf der offiziellen Traktandenliste stehen.

Welche Reformen können Ihrer Meinung nach in Rom angestossen werden?
Das Anfang Juli veröffentlichte Arbeitsdokument für die Synode im Oktober 2024 zeigt, dass die verbindliche Mitbeteiligung an Entscheidungen, Transparenz und Rechenschaftspflicht der Amtsträger Themen sein werden. Auch die Verlagerung von Entscheidungen hin zu den nationalen Bischofskonferenzen und ein mehr netzwerkartiges als pyramidal-hierarchisches Kirchenverständnis stehen auf der Agenda. Wenn die reformorientierten Bischöfe und die stimmberechtigten Frauen und Männer sich klar positionieren, auf konkrete Veränderungen statt auf schöne Formulierungen hinarbeiten und den Machtspielen konservativer Bischöfe mutig Einhalt gebieten, kann von der Synode der Anstoss ausgehen, Strukturen und Entscheidungsmechanismen zu verändern.

Und in der Frauenfrage?
In der Frage des Amtsverständnisses und der Zulassungsbedingungen erwarte ich derzeit keine grossen Schritte. Damit werden das Weiheamt und seine Träger hierzulande weiter an Rückhalt und an öffentlichem Ansehen verlieren. Offenbar sind viele Amtsträger auch hierzulande bereit, die damit verbundene Beschädigung der Kirche in Kauf zu nehmen.

Was erhoffen Sie sich für die Kirche Schweiz von der Synode?
Wie überall auf der Welt ist die Kirche auch in der Schweiz nur dann lebendig und glaubwürdig, wenn möglichst viele verschiedene Menschen, Gruppen, Projekte und Ideen unter ihrem Dach Platz finden. Und wenn sie sich dafür einsetzen, dass konkret Gestalt annimmt, was für Jesus wichtig war: Hoffnung in bedrohlicher Zeit, Solidarität mit jenen, die es allein nicht schaffen, Vertrauen darauf, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Aber das lässt sich nicht an Kirchenprofis delegieren – es muss miteinander errungen werden.

Geht es etwas konkreter?
Das Kirchenwort dafür lautet Synodalität: mit Vorschussvertrauen möglichst zuversichtlich miteinander auf dem Weg sein. Und auch dann auf diesem Weg bleiben, wenn er mühsam ist und das Ziel in weiter Ferne liegt. Die Weltsynode wird hoffentlich einige Steinbrocken aus dem Weg räumen. Den synodalen Weg vor Ort suchen und gehen müssen wir allerdings selbst.


 

Daniel Kosch (65) war von 2001 bis 2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz und Schweizer Beobachter des deutschen 
synodalen Wegs.

Geistliches Gespräch

An der Bischofssynode in Rom, an der zum zweiten Mal auch Frauen stimmberechtigt teilnehmen, wird nach der Methode des «geistlichen Gesprächs» an runden Tischen diskutiert: Jede Gesprächsgruppe hat eine:n Moderator:in. Diese:r gewährleistet, dass die für alle gleiche Gesprächszeit eingehalten wird. In der ersten Runde darf jede:r erzählen, was ihn oder sie zu einem bestimmten Thema bewegt. Es folgt ein Moment der Stille. In der zweiten Runde kann man auf Aussagen von anderen reagieren: Was hat das Gehörte ausgelöst? Welche Aussagen bleiben hängen oder eröffnen neue Perspektiven?

Nach einem Moment der Stille folgt die dritte Runde: Die Teilnehmenden tauschen sich darüber aus, wo sie sich einig sind und wo es Widerstände gibt, und einigen sich auf einen schriftlichen Bericht zuhanden des Plenums. Ein Gebet rundet das Gespräch ab.