Was bleibt, wenn viele gehen?
Warum treten Menschen aus der Kirche aus? Was bedeutet die zunehmende Säkularisierung für die, die bleiben? Solche Fragen wurden auf einem Podium in Luzern diskutiert.
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Von links: Mario Stübi moderierte das Podium mit Michelle Vollenweider, Stefan Amrein, Thomas Haberl und Anastas Odermatt. Bild: Sylvia Stam
Über hundert Personen kamen am Dienstag (18.2.) an das Podium der katholischen Kirche Stadt Luzern zum Thema «Konfessionslos - so what?» im Neubad Luzern. Eingeladen waren zwei Gläubige - die Luzerner Anwältin Michelle Vollenweider und der deutsche Journalist und Buchautor Thomas Haberl - sowie zwei Atheisten: Der Luzerner Stefan Amrein, Präsident von kirchenaustritt.ch, und Valentin Abgottspon, Co-Präsident der Freidenker:innen, der jedoch aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte. Anastas Odermatt, Religionswissenschaftler an der Uni Luzern, ergänzte die Voten durch einen Aussenblick aus Sicht der Religions- und Sozialforschung.
Bedürfnis nach Information
Interessante Einblicke in die Nöte von Austrittswilligen gab Stefan Amrein, Initiant der Website kirchenaustritt.ch: «Ich bin Italiener. Meine Eltern dürfen das auf gar keinen Fall erfahren», zitierte er die Sorge eines seiner Kunden. Andere wollten wissen, ob sie trotz Kirchenaustritt beerdigt würden. Amrein erkannte ein Bedürfnis nach Information, das er mit seinem Unternehmen befriedigt.
Die fehlende Identifikation mit der Kirche ist aus seiner Sicht der Hauptgrund, weshalb Menschen austreten. «Oft geht ein jahrelanger Prozess voraus. Negativschlagzeilen wie etwa Missbrauchsfälle sind dann nur noch der Anlass, um den Schritt tatsächhlich zu vollziehen.» Entsprechend stosse ein Schreiben, in dem die Pfarrei die austrittswillige Person zum Gespräch einlade, oft auf Unverständnis und Irritation: «Das kommt viel zu spät!», ist Amrein überzeugt.
Liberale gehen eher
Es seien tendenziell liberale Gläubige, welche die Kirche verliessen, erläuterte Odermatt. «Gläubige mit einem konservativen Glaubensverständnis bleiben eher.» Während liberale Gläubige oft Leitungsfunktionen im dualen System innehätten, stehe ihnen zunehmen ein konservatives Bodenpersonal gegenüber. «Das führt zu Problemen». Entsprechend stützte er das Argument von Michelle Vollenweider, die sagte, sie bleibe in der katholischen Kirche, damit diese sich in eine modernere, diversere Richtung entwickeln könne.
Auf dem Podium wurde deutlich, dass gläubige Menschen in einer säkularer werdenden Gesellschaft vermehrt unter Rechtfertigungsdruck geraten. «Wenn ich sage, dass ich sonntags in die Messe gehe, werde ich von meinem linksliberalen Umfeld angeschaut wie ein Marschmensch», sagte Thomas Haberl, Autor des Buches «Unter Heiden». Die gleichen Leute gingen aber durchaus vier Wochen in einen Schweigeretreat in ein tibetisches Kloster. «Sie nehmen sich nicht die Mühe, meinen Glauben und meine Kirche kennenzulernen.»
Mit offenem Herzen reagieren
«Religiosität wird zunehmend mit Fundamentalismus gleichgesetzt», doppelte Michelle Vollenweider nach, «aus Ignoranz». Anastas Odermatt bestätigte, dass sich in der Gesellschaft zunehmend ein Bruch zwischen religiösen und säkularen Menschen zeige. «Hier nicht trotzig zu reagieren, sondern mit einem offenen Herzen», sei eine Herausforderung. Doch nur dann werde die christliche Botschaft auch ernst genommen, so Thomas Haberl.