Weil das Miteinander stark macht

Einfach für und mit Menschen da sein: Das lebt die Behindertenseelsorge der katholischen Kirche im Kanton Luzern seit 50 Jahren. Einschränkungen trennen hier nicht, sondern stärken die Gemeinschaft.

Von Dominik Thali |  29.08.2024

Mit jemandem auch über Vertrauliches sprechen können: Behindertenseelsorgerin Fabienne Eichmann (rechts) und ihre Mitarbeiterin Heidi Bühlmann begrüssen Joe Waser in der SSBL Rathausen. | Bild: Jennifer Riedl

«Jemand hat Zeit für mich, nicht erst am Abend. Das tut mir gut», sagt David Zihlmann (30). «Ich kann auch über Dinge sprechen, die vertraulich sind», erklärt Joe Waser (59). Waser ist auf den Rollstuhl angewiesen, Zihlmann hat eine körperliche wie geistige Beeinträchtigung. Beide leben in der SSBL Rathausen in Emmen, einem der Standorte der Stiftung für selbstbestimmtes und begleitetes Leben. Und sie treffen sich regelmässig mit  Fabienne Eichmann, Leiterin der Behindertenseelsorge, und deren Mitarbeiterin Heidi Bühlmann zum Gespräch. «Wir schenken Zeit, das ist das wichtigste», sagt Bühlmann. «Und das Thema bestimmen nicht wir.» An diesem Nachmittag erzählt David Zihlmann davon, wie ihn der Tod eines früheren Wohngruppenkollegen beschäftigt. Bei Joe Waser geht es unter anderem um Beziehung und Gefühle. 

Das Team der Behindertenseelsorge ist im ganzen Kanton in rund 20 Einrichtungen für Menschen mit einer Behinderung präsent – neben der SSBL auch im Brändi, in der Rodtegg oder der WG Fluematt. 2023 führten sie um die 150 Seelsorgegespräche, begleiteten Menschen – auch im Sterben –, feierten Gottesdienste oder luden zu Erlebnisnachmittagen und Themenabenden ein.

Zeit haben

Die Behindertenseelsorge sei zwar eine von vielen Partnerinnen der SSBL, sagt  Adrian Müller, dort unter anderem für die Bereiche Bildung und Freizeit verantwortlich. Für viele Bewohner:innen sei sie aber von grosser Bedeutung. «Ihre Mitarbeitenden nehmen sich Zeit und geben Raum», sagt Müller. Im geschäftigten Alltag seien tiefgründige Gespräche für Betreuer:innen schwierig einzuplanen. Müller erlebt, dass die Behindertenseelsorge versteht und Verständnis schafft, auch wo keine Worte möglich sind – oder es gar keine   braucht.

Religionsunterricht für Menschen mit einer Behinderung: Katechetin Yvonne Rihm mit Shoana Erni an der Heil­pädagogischen Schule Willisau. | Bild: Dominik Thali

Fröhliche Auszeit: In der ersten von zwei Ferienwochen für Menschen mit einer Behinderung in Delsberg im Mai dieses Jahres. | Bild: Heidi Bühlmann

«Einzigartige Fähigkeiten»

Fabienne Eichmann nickt. Wenn sie in einer Pfarrei zu einem Begegnungsgottesdienst einlädt, spielt  Spontaneität eine wichtige Rolle. Inklusion heisse hier: Ausprobieren und Handeln. Eichmann lässt Menschen mit einer Behinderung mitgestalten, freut sich Mal für Mal über eine «lebendig-sinnliche Feier» und nimmt sie in der Liturgie als «echte Brückenbauer» wahr.
Überhaupt: Menschen mit einer Behinderung hätten oft einen «erfrischend unverstellten Zugang zu Religion und Spiritualität», findet Eichmann. Und «ein feines Gespür für Resonanzen. Sie merken, dass nicht Wort und Autorität darüber entscheiden, ob etwas stimmig ist.»

Im Wissen darum bereiten Eichmann und Yvonne Rihm auch die Erstkommunionfeiern, Firmungen und Schulgottesdienste an den heilpädagogischen Schulen und Zentren vor. Rihm gehört zum Team der Behindertenseelsorge. Sie ist heilpädagogische Katechetin in Willisau und berät Religionslehrpersonen aus diesem Bereich im ganzen Kanton. In der Regelschule ist sie präsent, wenn dort Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung integriert werden.

Eichmann schwärmt von den «einzigartigen Fähigkeiten» der Kinder und Jugendlichen», die in den Feiern zum Tragen kämen. Und erwähnt mehrmals, wie sehr das Miteinander stärke. Die Menschen mit wie ohne Behinderung.

«Das Verbindende ist so viel stärker ist als alles, was uns verschieden macht.»Fabienne Eichmann, Behindertenseelsorgerin

«Ersehnte Fixpunkte in der Agenda», so Eichmann, sind schliesslich die beiden Ferienwochen in Delsberg im Mai und Juli und das Wochenende in Schwarzenberg im September. Da helfen jeweils viele Freiwillige mit. Für Eichmann sind diese Auszeiten «Exerzitien der besonderen Art», in denen sie «echt Gänsehaut-Momente» erlebe. Äusserlichkeiten und Behinderung würden da unversehens nebensächlich. «Weil das Verbindende so viel stärker ist als alles, was uns verschieden macht. Wenn ungeschönt über das Leben geredet wird. Da kullern ab und zu Tränen. Vor lauter Lachen – oder vor Rührung.»

Den Horizont erweitern

Vom Alltag in die Tiefe – dies sei die Herangehensweise, erklärt Eichmann. Im gemeinsamen Erleben kommt das Gespräch auf Lebensthemen. Menschen teilen ihre Geschichte und Geschichten, die Behindertenseelsorge hört zu, nimmt Anteil. «Das erweitert auf beiden Seiten den Horizont.»

Im Gespräch im Café der SSBL Rathausen: Behindertenseelsorgerin Fabienne Eichmann und Bewohner David Zihlmann. | Bild: Jennifer Riedl

Eine Woche unterwegs

«Gemeinsam unterwegs»: Unter diesem Motto tuckert die Behindertenseelsorge mit ihrem Jubiläumsmobil, einer Vespa Ape, durch den Kanton. An sechs Tagen und sieben Haltestellen lädt sie zum Mitfeiern ein.

  • Montag, 9. September | 15–17 Uhr, Rathausen, «Himmlischer Start» mit der SSBL-Band
  • Dienstag, 10. September | 12.12–14 Uhr, Luzern, Impuls in der Peterskapelle, Apéro
  • Mittwoch, 11. September | 10.30–11.30, Luzern, Stiftung Rodtegg, bunte Lebensfeier mit Schülerinnen und Schülern
  • Mittwoch, 11. September | 15–20 Uhr, Pfarreizentrum Willisau, PORTA-Lieder, Brätelplausch
  • Donnerstag, 12. September | 16–19 Uhr, Pfarreizentrum Sursee, Feier-Abend mit Musik
  • Samstag, 14. September | 15 Uhr, Bildungszentrum Matt, Schwarzenberg, Figurentheater
  • Sonntag, 15. September | ab 16 Uhr, Treibhaus Luzern, inklusive Musikparty

lukath.ch/jubilaeumswoche