«Wir haben voneinander gelernt»
Josef Meili (79) war von 1974 bis 1993 als Immenseer Missionar in Taiwan. Im Gespräch sagt der heutige Generalobere, wie katholisch in Taiwan geht. Die Missionsgesellschaft Immensee (SMB) feierte im Mai ihr 100- jähriges Bestehen – ein Jahr verspätet.
·Die beste Zeit meines Lebens hatte ich als Missionar in Taiwan»: der frühere Generalobere Josef Meili beim Festgottesdienst zum 100-Jahr-Jubiläum. Bild: Philipp Schmidli
Was gefällt Ihnen am besten am Leben als Missionar?
Josef Meili: Am besten gefällt mir, Beziehungen aufzubauen mit Menschen aus anderen Kulturen und Religionen. Die beste Zeit meines Lebens hatte ich als Missionar in Taiwan.
Was haben Sie dort gemacht?
Ich war Pfarrer und in der Laienführungsschulung tätig, habe soziale Arbeit mit Jugendlichen gemacht. Nirgends habe ich mehr gelernt als im Austausch mit ihnen. Ist das Christentum meine Heimat? Gibt mir meine Religion das, was ich brauche? Diese Fragen standen im Raum.
Und welches waren die Antworten?
Du hast deine Religion und das ist gut für dich. Ich habe meine Religion und das ist gut für mich. Zusammen schauen wir, dass wir die Gesellschaft weiterbringen und zum Guten verändern.
Welche Sprachen sprechen Sie?
Ich spreche Mandarin und Taiwanesisch. Die Sprache ist grundlegend, um Beziehungen aufzubauen.
«Wir haben keine Weihrauchfässer, sondern Räucherstäbchen – wie in den Tempeln.»Josef Meili
Wie geht katholisch in Taiwan?
Es gibt keine weissen Kerzen, keine weissen Kleider, weil weiss die Trauerfarbe ist. Alles ist rot und golden. Das sind die Kaiserfarben, die wir übernommen haben. Wir haben keine Weihrauchfässer, sondern Räucherstäbchen – wie in den Tempeln. Immer zu Beginn einer Eucharistiefeier gibt es eine Totenehrung.
Die ganze Karwochen-Liturgie haben wir komplett umgeschrieben. An Ostern gibt es kein Feuer. Offene Feuer im Freien dienen in Taiwan ausschliesslich der Abfallverbrennung. Die Idee des Feuers, das wärmt und nährt, ist in Taiwan das Herdfeuer. Osterlämmer werden aus Reis gebacken. Am Hohen Donnerstag haben wir sie zusammen gegessen. Es gibt keine Kniebeuge. Im chinesischen Raum kniet man nur vor dem Kaiser und senkt seinen Kopf bis auf den Boden. Das machen wir nicht, wir verneigen uns.
Wie verhält es sich mit der Musik und den Gesängen?
Die sind alle lokal. Mein Mitbruder Josef Lenherr hat in Taiwan Melodien gesammelt. Eines Tages ist er einem Lastwagenchauffeur begegnet, der vor sich her gesungen hat. Seine Melodien tönten ähnlich wie die buddhistischen Gesänge in den Tempeln. Josef Lenherr hat den Mann gefragt, ob er ihm Texte geben könne, zu denen er Melodien komponieren könnte. Die entstandenen Lieder werden seither von der Gemeinde gesungen.
Die Luzerner Theologin Nicola Neider-Ammann sagt, nach drei Jahren auf den Philippinen sei sie als Beschenkte nach Hause gegangen, etwas Bleibendes aber habe sie nicht hinterlassen können. Wie sehen Sie das?
Ich verstehe diese Aussage. Auch ich habe mehr bekommen, als ich vermitteln konnte.
Hat die Mission eine Berechtigung, wenn am Ende die Missionarinnen und Missionare die Beschenkten sind?
Ich weiss nicht, wie beschenkt sich die anderen fühlen. Wenn Menschen offen auf andere zugehen, dann ist es häufig so, dass sie mehr beschenkt werden, als dass sie geben.
Aber die Missionen wollen doch helfen?
Meine Jugendlichen in Taiwan und ich haben voneinander gelernt. Das Gelernte hat ihnen geholfen. Seit die Missionsgesellschaft 1953 nach Taiwan gegangen ist, hat sie viel für die soziale Entwicklung bei der indigenen Bevölkerung getan. Etwa die Selbsthilfekasse, die den Menschen die Möglichkeit gegeben hat, ihr Geld selbst zu verwalten. Das hat sie von den reichen Leuten unabhängig gemacht.
Waren Sie in Taiwan mit Kolonialismus-Vorwürfen konfrontiert?
Nein, gar nicht. Die katholische Kirche ist in Taiwan bekannt für die soziale Arbeit, ihre Schulen und Spitäler. Am letzten Freitag war der Botschafter von Taiwan bei uns zu Gast am Jubiläum, das zeigt die Wertschätzung uns gegenüber.
Wie lange waren Sie in Taiwan?
Von 1974 bis 1993. Wir haben dort an der Ostküste eine Berufsmittelschule aufgebaut, die für ganz Taiwan zum Modell wurde. Die Handwerksausbildung hat im chinesischen Kulturraum gegenüber der akademischen Ausbildung einen niedrigeren Status. Mit dem Schweizer Modell konnten wir ihren Status verbessern. 1993 musste ich in die Schweiz zurückkommen.
Musste?
Ja, ich wäre lieber dortgeblieben. Das Prinzip ist, dass die Missionare in ihren Missionsländern bleiben können, solange es geht. Sterben darf man, wo man will. 1993 wurde ich zum Generaloberen gewählt und musste darum in die Schweiz zurückkehren. Wer in die Gemeinschaft eintritt, verpflichtet sich, eine Leitungsfunktion zu übernehmen. Also musste ich zurück.
Warum sind Sie nicht wieder zurück nach Taiwan?
Nach zehn Jahren habe ich nur noch einen Drittel der Leute in der Pfarrei gekannt. Vieles hat sich verändert. Diese Erfahrung haben andere Missionare auch gemacht. Rückkehrer sind zum Teil in ein Loch gefallen.
«In Taiwan braucht es viel Zeit, bis jemand konvertiert.»Josef Meili
Wie gross war die Gemeinde, in der Sie gearbeitet haben?
In Taiwan sind die Christen eine Minderheit, etwa zwei bis drei Prozent der Gesellschaft. Eineinhalb Prozent sind katholisch. In der Stadt Taitung, in der ich gelebt habe, gab es zirka 100’000 Einwohner. In der Pfarrei, in der ich gearbeitet habe, gab es genau 460 Katholikinnen und Katholiken. Diese waren sehr überzeugte Christinnen und Christen. In Taiwan braucht es viel Zeit, bis jemand konvertiert. Eine Frau, die ich getauft habe, hat 15 Jahre lang den Religionsunterricht besucht und sich langsam in die Gemeinde eingefügt, bis sie konvertierte. Mindestens drei bis vier Jahre geht es bei allen.
Wie kam es dazu, dass Immensee zum grössten katholischen Missionsunternehmen der Schweiz wurde?
1896 kam der französische Priester Pierre-Marie Barral mit einer Gruppe Studierender nach Immensee. Er suchte einen Ort, um Priester auszubilden. Damals war es schwierig, in Frankreich Priester auszubilden. Die Priester sollten nach der Ausbildung nach Frankreich zurückkehren. Das waren Missionare für Frankreich.
Wie ging es weiter?
Barral musste die Schweiz verlassen, weil er Konkurs machte und vielen Leuten Geld schuldete. Die Bischofskonferenz fand Gefallen an der Idee, ein Missionsinstitut aufzubauen und hat das Haus übernommen. Ein Zivilverein mit Mitgliedern aus Kirche und Politik aus der ganzen Schweiz war Träger des Hauses und regelte die Finanzen. 1921 wurde dann die Missionsgesellschaft gegründet.
Wie geht es mit der Missionsgesellschaft Immensee weiter?
Wir sind jetzt 45 Mitglieder. Unser jüngstes Mitglied, Ludovic Nobel, ist 44 Jahre alt. Vielleicht möchte in Zukunft jemand zu uns stossen. Wir wissen nicht, was Gottes Geistkraft noch für Ideen hat. Wir wollen dieser Kraft keinen Prügel zwischen die Beine werfen und sagen: Wir hören auf.
Stirbt mit dem Tod des letzten Mitglieds die Missionsgesellschaft Immensee?
Kirchenrechtlich ist es so, dass eine religiöse Gemeinschaft nach dem Tod des letzten Mitglieds noch 100 Jahre weiter besteht. Unsere Satzungen könnten in dieser Zeit wieder belebt werden. Wir müssen für die Leitung einen Generaloberen und einen Generalvikar stellen können. Ich könnte mir vorstellen, dass in der Zukunft die Leitung formal zwar besteht, die administrative Arbeit aber von anderen Leuten gemacht wird, wenn wir das nicht mehr selbst leisten können. Das ist die Strategie in der Schweiz. Aber im Ausland lebt unser Werk weiter in den von uns mit aufgebauten Ordensgemeinschaften.
«Wir wissen nicht, was Gottes Geistkraft noch für Ideen hat.»Josef Meili
Wie geht es Ihnen mit dieser Strategie?
Ich bin zuversichtlich und glaube an die heilige Geistkraft. Wir geben unsere Spiritualität im Wohnprojekt «Im Bethlehem» weiter. Wir haben umgebaut und daraus ein Mehrgenerationenprojekt gemacht.
Hat das Sterben Ihrer Gesellschaft etwas damit zu tun, dass sich die Laien mit der Bethlehem Mission Immensee 2010 von ihrer Gesellschaft getrennt haben?
Das ist schwierig zu sagen. Es ist ein Verlust für uns, denn die Laienmitarbeit haben wir schon in den 1960er- und 1970er-Jahren aufgebaut. Und ihre Arbeit war wichtig für uns. Aber ideell haben wir uns voneinander entfernt. Heute haben wir mit Commundo keine Verbindung mehr. Schön war es, zu sehen, dass am Jubiläum viele ehemalige Laienmitarbeitende unsere Gäste waren. Sie sind doch mit uns verbunden.
Inwiefern ist der Missbrauchskomplex ein Thema bei Ihnen?
Wir hatten Fälle in den 1950er-Jahren. Die haben wir aufgearbeitet. Von der externen Meldestelle Linda haben wir keine weiteren Berichte bekommen. Die Fälle im Gymnasium Bethlehem in den 1990er-Jahren betreffen unsere Gemeinschaft nicht. Für die aktuelle Studie der Universität Zürich «Sexuelle Ausbeutung im Umfeld der katholischen Kirche in der Schweiz» öffnen wir selbstverständlich unser Archiv.
Einsatz für Benachteiligte
Der französische Priester Pierre-Marie Barral gründete 1895 die «École apostolique de Bethléem». Daraus ging die Missionsgesellschaft Bethlehem (SMB) hervor, die 1921 durch ein päpstliches Dekret beglaubigt wurde. Ziel war es, Männer aus ärmeren Familien zu Priestern für die Weltmission auszubilden. Die SMB begleitet bis heute missionarische Einsätze in Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa. Dabei engagiert sie sich
für Benachteiligte und für Menschenrechte. Heute zählt die SMB noch 45 Mitglieder.